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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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befragt, fuhr er fort: "Aber etwas bunt muß es
doch noch zugehen! Da habe ich eben in der Zei¬
tung gelesen, daß in einer Abtheilung unserer
Cantonsschule die bekannten Störungen endlich
dadurch gehoben worden, daß man den unprak¬
tischen Lehrer und den unnützesten Schüler, einen
wahren kleinen Revolutionär, zugleich entfernt
und dadurch die Ruhe gründlich hergestellt habe.
Daß man nun den Lehrer entlassen hat, scheint
mir ganz vernünftig, wenn man ihn nur ander¬
weitig versorgt; hingegen mit dem Schüler will
es mir nicht recht einleuchten, es will mich be¬
dünken, als ob man demselben damit verdeutet
habe: Du bist nun außer unsere Gemeinschaft
gestellt und magst zusehen, was Du aus Dir
machst! Dies ist nicht christlich gehandelt und
unser Herr und Meister würde das verirrte
Schaf gewiß zunächst unter die Falten seines
Mantels genommen haben. Kennt ihr, liebes
Vettermännchen, den verstoßenen Knaben?"

Der Mann weckte durch diese Frage die pein¬
vollen Erinnerungen und durch ihre Fassung zu¬
gleich eine tiefe Wehmuth in mir auf, und ich

befragt, fuhr er fort: »Aber etwas bunt muß es
doch noch zugehen! Da habe ich eben in der Zei¬
tung geleſen, daß in einer Abtheilung unſerer
Cantonsſchule die bekannten Stoͤrungen endlich
dadurch gehoben worden, daß man den unprak¬
tiſchen Lehrer und den unnuͤtzeſten Schuͤler, einen
wahren kleinen Revolutionaͤr, zugleich entfernt
und dadurch die Ruhe gruͤndlich hergeſtellt habe.
Daß man nun den Lehrer entlaſſen hat, ſcheint
mir ganz vernuͤnftig, wenn man ihn nur ander¬
weitig verſorgt; hingegen mit dem Schuͤler will
es mir nicht recht einleuchten, es will mich be¬
duͤnken, als ob man demſelben damit verdeutet
habe: Du biſt nun außer unſere Gemeinſchaft
geſtellt und magſt zuſehen, was Du aus Dir
machſt! Dies iſt nicht chriſtlich gehandelt und
unſer Herr und Meiſter wuͤrde das verirrte
Schaf gewiß zunaͤchſt unter die Falten ſeines
Mantels genommen haben. Kennt ihr, liebes
Vettermaͤnnchen, den verſtoßenen Knaben?«

Der Mann weckte durch dieſe Frage die pein¬
vollen Erinnerungen und durch ihre Faſſung zu¬
gleich eine tiefe Wehmuth in mir auf, und ich

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[63/0073] befragt, fuhr er fort: »Aber etwas bunt muß es doch noch zugehen! Da habe ich eben in der Zei¬ tung geleſen, daß in einer Abtheilung unſerer Cantonsſchule die bekannten Stoͤrungen endlich dadurch gehoben worden, daß man den unprak¬ tiſchen Lehrer und den unnuͤtzeſten Schuͤler, einen wahren kleinen Revolutionaͤr, zugleich entfernt und dadurch die Ruhe gruͤndlich hergeſtellt habe. Daß man nun den Lehrer entlaſſen hat, ſcheint mir ganz vernuͤnftig, wenn man ihn nur ander¬ weitig verſorgt; hingegen mit dem Schuͤler will es mir nicht recht einleuchten, es will mich be¬ duͤnken, als ob man demſelben damit verdeutet habe: Du biſt nun außer unſere Gemeinſchaft geſtellt und magſt zuſehen, was Du aus Dir machſt! Dies iſt nicht chriſtlich gehandelt und unſer Herr und Meiſter wuͤrde das verirrte Schaf gewiß zunaͤchſt unter die Falten ſeines Mantels genommen haben. Kennt ihr, liebes Vettermaͤnnchen, den verſtoßenen Knaben?« Der Mann weckte durch dieſe Frage die pein¬ vollen Erinnerungen und durch ihre Faſſung zu¬ gleich eine tiefe Wehmuth in mir auf, und ich

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/73>, abgerufen am 04.12.2024.