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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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Von nun an nahm der Irrsinn vollständig
Platz in ihm, er behandelte seinen Beruf als
Nebensache und trachtete mehr danach, seinen ein¬
gebildeten Rechten Geltung zu verschaffen. Zum
zweiten Mal von der vornehmen Welt zurückge¬
wiesen, mußte er in einen nachtheiligen Verkehr
mit Händlern treten, um nur dann und wann
ein Blatt zu verkaufen. Von wohlhabenden
Landsleuten, die sich zum Vergnügen in Paris
aufhielten und den Umgang des Künstlers ge¬
sucht hatten, lieh er Geld, wenn er in Noth war,
und da er dieses mit ernsthaften und anständigen
Manieren that, das Geliehene aber nicht zurück¬
gab, vielmehr von großen und wichtigen Dingen
sprach, während er doch sonst ein kluger und ein¬
sichtiger Mann schien, so hielt man ihn bald für
einen durchtriebenen und gefährlichen Schelm,
der nur darauf ausgehe, Andere auf tückische
Weise um das Ihrige zu bringen. Daß er in
der festen Ueberzeugung lebte, jeden Tag sein
großes Schicksal aufgehen zu sehen, wo er als
ein König dieser Welt alles Empfangene hundert¬
fach vergelten könne, wurde ihm nicht angerech¬

Von nun an nahm der Irrſinn vollſtaͤndig
Platz in ihm, er behandelte ſeinen Beruf als
Nebenſache und trachtete mehr danach, ſeinen ein¬
gebildeten Rechten Geltung zu verſchaffen. Zum
zweiten Mal von der vornehmen Welt zuruͤckge¬
wieſen, mußte er in einen nachtheiligen Verkehr
mit Haͤndlern treten, um nur dann und wann
ein Blatt zu verkaufen. Von wohlhabenden
Landsleuten, die ſich zum Vergnuͤgen in Paris
aufhielten und den Umgang des Kuͤnſtlers ge¬
ſucht hatten, lieh er Geld, wenn er in Noth war,
und da er dieſes mit ernſthaften und anſtaͤndigen
Manieren that, das Geliehene aber nicht zuruͤck¬
gab, vielmehr von großen und wichtigen Dingen
ſprach, waͤhrend er doch ſonſt ein kluger und ein¬
ſichtiger Mann ſchien, ſo hielt man ihn bald fuͤr
einen durchtriebenen und gefaͤhrlichen Schelm,
der nur darauf ausgehe, Andere auf tuͤckiſche
Weiſe um das Ihrige zu bringen. Daß er in
der feſten Ueberzeugung lebte, jeden Tag ſein
großes Schickſal aufgehen zu ſehen, wo er als
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fach vergelten koͤnne, wurde ihm nicht angerech¬

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[94/0104] Von nun an nahm der Irrſinn vollſtaͤndig Platz in ihm, er behandelte ſeinen Beruf als Nebenſache und trachtete mehr danach, ſeinen ein¬ gebildeten Rechten Geltung zu verſchaffen. Zum zweiten Mal von der vornehmen Welt zuruͤckge¬ wieſen, mußte er in einen nachtheiligen Verkehr mit Haͤndlern treten, um nur dann und wann ein Blatt zu verkaufen. Von wohlhabenden Landsleuten, die ſich zum Vergnuͤgen in Paris aufhielten und den Umgang des Kuͤnſtlers ge¬ ſucht hatten, lieh er Geld, wenn er in Noth war, und da er dieſes mit ernſthaften und anſtaͤndigen Manieren that, das Geliehene aber nicht zuruͤck¬ gab, vielmehr von großen und wichtigen Dingen ſprach, waͤhrend er doch ſonſt ein kluger und ein¬ ſichtiger Mann ſchien, ſo hielt man ihn bald fuͤr einen durchtriebenen und gefaͤhrlichen Schelm, der nur darauf ausgehe, Andere auf tuͤckiſche Weiſe um das Ihrige zu bringen. Daß er in der feſten Ueberzeugung lebte, jeden Tag ſein großes Schickſal aufgehen zu ſehen, wo er als ein Koͤnig dieſer Welt alles Empfangene hundert¬ fach vergelten koͤnne, wurde ihm nicht angerech¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/104>, abgerufen am 24.11.2024.