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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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mir wirklich unheimlich zu Muthe, da die Stille
der Nacht von einer dämonischen Absicht ganz
getränkt erschien. Ich wollte eben Judith beim
Namen rufen, als ich seltsame, halb seufzende,
halb singende Töne vernahm, aus denen zuletzt
ein deutliches altes Lied wurde, das ich schon
hundertmal gehört und jetzt doch einen zauberhaf¬
ten Eindruck auf mich machte. Sein Inhalt war
die Tiefe des Wassers, etwas von Liebe und sonst
nichts weiter; aber zuletzt war es von einem fast
sichtbaren verführerischen Lächeln durchdrungen
und von einem silbernen Geräusch begleitet, wie
wenn Jemand im Wasser plätschert und sich das¬
selbe in sanften Wellen gegen die Lenden schlägt.
Wie ich so hinhorchte, entdeckte ich endlich mir
gegenüber eine undeutliche weiße Gestalt, welche
sich im Schatten hinter dem Felsen bewegte, sich
an überhängende Zweige hing und den Körper
im Wasser treiben ließ oder plötzlich sich hoch
aufrichtete und eine Weile gespenstisch unbeweglich
hielt. Es führte ein untiefer Damm des Ge¬
schiebes zu jener Stelle und zwar in einem ziem¬
lich weiten Bogen, und als ich einen Augenblick

mir wirklich unheimlich zu Muthe, da die Stille
der Nacht von einer daͤmoniſchen Abſicht ganz
getraͤnkt erſchien. Ich wollte eben Judith beim
Namen rufen, als ich ſeltſame, halb ſeufzende,
halb ſingende Toͤne vernahm, aus denen zuletzt
ein deutliches altes Lied wurde, das ich ſchon
hundertmal gehoͤrt und jetzt doch einen zauberhaf¬
ten Eindruck auf mich machte. Sein Inhalt war
die Tiefe des Waſſers, etwas von Liebe und ſonſt
nichts weiter; aber zuletzt war es von einem faſt
ſichtbaren verfuͤhreriſchen Laͤcheln durchdrungen
und von einem ſilbernen Geraͤuſch begleitet, wie
wenn Jemand im Waſſer plaͤtſchert und ſich daſ¬
ſelbe in ſanften Wellen gegen die Lenden ſchlaͤgt.
Wie ich ſo hinhorchte, entdeckte ich endlich mir
gegenuͤber eine undeutliche weiße Geſtalt, welche
ſich im Schatten hinter dem Felſen bewegte, ſich
an uͤberhaͤngende Zweige hing und den Koͤrper
im Waſſer treiben ließ oder ploͤtzlich ſich hoch
aufrichtete und eine Weile geſpenſtiſch unbeweglich
hielt. Es fuͤhrte ein untiefer Damm des Ge¬
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[128/0138] mir wirklich unheimlich zu Muthe, da die Stille der Nacht von einer daͤmoniſchen Abſicht ganz getraͤnkt erſchien. Ich wollte eben Judith beim Namen rufen, als ich ſeltſame, halb ſeufzende, halb ſingende Toͤne vernahm, aus denen zuletzt ein deutliches altes Lied wurde, das ich ſchon hundertmal gehoͤrt und jetzt doch einen zauberhaf¬ ten Eindruck auf mich machte. Sein Inhalt war die Tiefe des Waſſers, etwas von Liebe und ſonſt nichts weiter; aber zuletzt war es von einem faſt ſichtbaren verfuͤhreriſchen Laͤcheln durchdrungen und von einem ſilbernen Geraͤuſch begleitet, wie wenn Jemand im Waſſer plaͤtſchert und ſich daſ¬ ſelbe in ſanften Wellen gegen die Lenden ſchlaͤgt. Wie ich ſo hinhorchte, entdeckte ich endlich mir gegenuͤber eine undeutliche weiße Geſtalt, welche ſich im Schatten hinter dem Felſen bewegte, ſich an uͤberhaͤngende Zweige hing und den Koͤrper im Waſſer treiben ließ oder ploͤtzlich ſich hoch aufrichtete und eine Weile geſpenſtiſch unbeweglich hielt. Es fuͤhrte ein untiefer Damm des Ge¬ ſchiebes zu jener Stelle und zwar in einem ziem¬ lich weiten Bogen, und als ich einen Augenblick

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/138>, abgerufen am 24.11.2024.