zu behaupten. Dies ist die Erhaltung der Frei¬ heit und Unbescholtenheit unserer Augen.
Ferner ging eine Umwandlung vor in meiner Anschauung vom Poetischen. Ich hatte mir, ohne zu wissen wann und wie, angewöhnt, Alles, was ich im Leben und Kunst als brauchbar, gut und schön befand, poetisch zu nennen, und selbst die Gegenstände meines erwählten Berufes, Farben wie Formen, nannte ich nicht malerisch, sondern immer poetisch, so gut wie alle menschlichen Er¬ eignisse, welche mich anregend berührten. Dies war nun, wie ich glaube, ganz in der Ordnung, denn es ist das gleiche Gesetz, welches die ver¬ schiedenen Dinge poetisch oder der Widerspiege¬ lung ihres Lebens werth macht; aber in Bezug auf Manches, was ich bisher poetisch nannte, lernte ich nun, daß das Unbegreifliche und Un¬ mögliche, das Abenteuerliche und Ueberschwäng¬ liche nicht poetisch sind und daß, wie dort die Ruhe und Stille in der Bewegung, hier nur Schlichtheit und Ehrlichkeit mitten in Glanz und Gestalten herrschen müssen, um etwas Poe¬ tisches oder, was gleich bedeutend ist, etwas Le¬
zu behaupten. Dies iſt die Erhaltung der Frei¬ heit und Unbeſcholtenheit unſerer Augen.
Ferner ging eine Umwandlung vor in meiner Anſchauung vom Poetiſchen. Ich hatte mir, ohne zu wiſſen wann und wie, angewoͤhnt, Alles, was ich im Leben und Kunſt als brauchbar, gut und ſchoͤn befand, poetiſch zu nennen, und ſelbſt die Gegenſtaͤnde meines erwaͤhlten Berufes, Farben wie Formen, nannte ich nicht maleriſch, ſondern immer poetiſch, ſo gut wie alle menſchlichen Er¬ eigniſſe, welche mich anregend beruͤhrten. Dies war nun, wie ich glaube, ganz in der Ordnung, denn es iſt das gleiche Geſetz, welches die ver¬ ſchiedenen Dinge poetiſch oder der Widerſpiege¬ lung ihres Lebens werth macht; aber in Bezug auf Manches, was ich bisher poetiſch nannte, lernte ich nun, daß das Unbegreifliche und Un¬ moͤgliche, das Abenteuerliche und Ueberſchwaͤng¬ liche nicht poetiſch ſind und daß, wie dort die Ruhe und Stille in der Bewegung, hier nur Schlichtheit und Ehrlichkeit mitten in Glanz und Geſtalten herrſchen muͤſſen, um etwas Poe¬ tiſches oder, was gleich bedeutend iſt, etwas Le¬
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zu behaupten. Dies iſt die Erhaltung der Frei¬
heit und Unbeſcholtenheit unſerer Augen.
Ferner ging eine Umwandlung vor in meiner
Anſchauung vom Poetiſchen. Ich hatte mir, ohne
zu wiſſen wann und wie, angewoͤhnt, Alles, was
ich im Leben und Kunſt als brauchbar, gut und
ſchoͤn befand, poetiſch zu nennen, und ſelbſt die
Gegenſtaͤnde meines erwaͤhlten Berufes, Farben
wie Formen, nannte ich nicht maleriſch, ſondern
immer poetiſch, ſo gut wie alle menſchlichen Er¬
eigniſſe, welche mich anregend beruͤhrten. Dies
war nun, wie ich glaube, ganz in der Ordnung,
denn es iſt das gleiche Geſetz, welches die ver¬
ſchiedenen Dinge poetiſch oder der Widerſpiege¬
lung ihres Lebens werth macht; aber in Bezug
auf Manches, was ich bisher poetiſch nannte,
lernte ich nun, daß das Unbegreifliche und Un¬
moͤgliche, das Abenteuerliche und Ueberſchwaͤng¬
liche nicht poetiſch ſind und daß, wie dort die
Ruhe und Stille in der Bewegung, hier nur
Schlichtheit und Ehrlichkeit mitten in Glanz
und Geſtalten herrſchen muͤſſen, um etwas Poe¬
tiſches oder, was gleich bedeutend iſt, etwas Le¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/20>, abgerufen am 23.11.2024.
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