fühlte auch, daß er ihr von Herzen gut war, noch über das leidenschaftliche Wohlgefallen hin¬ aus, welches ihr Aeußeres erregte; aber er glaubte überhaupt nicht an seine Liebe, er bil¬ dete sich ein, nicht dauernd lieben zu können oder zu dürfen, und wußte nicht, daß Liebe im Grunde leichter zu erhalten, als auszulöschen ist; und gerade dieser verzweifelte Zweifel an sich selbst ließ keine tiefere Neigung in ihm reif werden.
"Sie ist ein Phänomen!" sagte er sich und glaubte zu erschrecken bei dem Gedanken, sich für immer ein solches zu verbinden oder, einfach ge¬ sagt, ein Phänomen zur Frau zu haben. Und doch war es ihm unmöglich, nur einen Tag vor¬ übergehen zu lassen, ohne das reizende Wunder zu sehen. Nun beschuldigte er sich wieder, daß solches Bedürfniß nur die geheime Begierde sei, die Blume zu brechen, um sie dann zu vergessen, und da er fest gewillt war, sich treu und ehrlich zu verhalten, schon aus einer Art von künstleri¬ schem Gewissen die Verpflichtung fühlend, dies außergewöhnliche Dasein nicht zu verwirren und zu stören, so hielt er sich standhaft in seiner pas¬
fuͤhlte auch, daß er ihr von Herzen gut war, noch uͤber das leidenſchaftliche Wohlgefallen hin¬ aus, welches ihr Aeußeres erregte; aber er glaubte uͤberhaupt nicht an ſeine Liebe, er bil¬ dete ſich ein, nicht dauernd lieben zu koͤnnen oder zu duͤrfen, und wußte nicht, daß Liebe im Grunde leichter zu erhalten, als auszuloͤſchen iſt; und gerade dieſer verzweifelte Zweifel an ſich ſelbſt ließ keine tiefere Neigung in ihm reif werden.
»Sie iſt ein Phaͤnomen!« ſagte er ſich und glaubte zu erſchrecken bei dem Gedanken, ſich fuͤr immer ein ſolches zu verbinden oder, einfach ge¬ ſagt, ein Phaͤnomen zur Frau zu haben. Und doch war es ihm unmoͤglich, nur einen Tag vor¬ uͤbergehen zu laſſen, ohne das reizende Wunder zu ſehen. Nun beſchuldigte er ſich wieder, daß ſolches Beduͤrfniß nur die geheime Begierde ſei, die Blume zu brechen, um ſie dann zu vergeſſen, und da er feſt gewillt war, ſich treu und ehrlich zu verhalten, ſchon aus einer Art von kuͤnſtleri¬ ſchem Gewiſſen die Verpflichtung fuͤhlend, dies außergewoͤhnliche Daſein nicht zu verwirren und zu ſtoͤren, ſo hielt er ſich ſtandhaft in ſeiner paſ¬
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fuͤhlte auch, daß er ihr von Herzen gut war,
noch uͤber das leidenſchaftliche Wohlgefallen hin¬
aus, welches ihr Aeußeres erregte; aber er
glaubte uͤberhaupt nicht an ſeine Liebe, er bil¬
dete ſich ein, nicht dauernd lieben zu koͤnnen oder
zu duͤrfen, und wußte nicht, daß Liebe im Grunde
leichter zu erhalten, als auszuloͤſchen iſt; und
gerade dieſer verzweifelte Zweifel an ſich ſelbſt
ließ keine tiefere Neigung in ihm reif werden.
»Sie iſt ein Phaͤnomen!« ſagte er ſich und
glaubte zu erſchrecken bei dem Gedanken, ſich fuͤr
immer ein ſolches zu verbinden oder, einfach ge¬
ſagt, ein Phaͤnomen zur Frau zu haben. Und
doch war es ihm unmoͤglich, nur einen Tag vor¬
uͤbergehen zu laſſen, ohne das reizende Wunder
zu ſehen. Nun beſchuldigte er ſich wieder, daß
ſolches Beduͤrfniß nur die geheime Begierde ſei,
die Blume zu brechen, um ſie dann zu vergeſſen,
und da er feſt gewillt war, ſich treu und ehrlich
zu verhalten, ſchon aus einer Art von kuͤnſtleri¬
ſchem Gewiſſen die Verpflichtung fuͤhlend, dies
außergewoͤhnliche Daſein nicht zu verwirren und
zu ſtoͤren, ſo hielt er ſich ſtandhaft in ſeiner paſ¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/232>, abgerufen am 25.11.2024.
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