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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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und sah in Gedanken verloren auf das Papier
und mit einem wehmüthigen Lächeln. Da über¬
schattete sich plötzlich der weiße Bogen auf meinen
Knieen, der vorher von der Sonne beglänzt war;
erschrocken schaute ich um und sah einen an¬
sehnlichen, fremd gekleideten Mann hinter mir
stehen, welcher den Schatten verursachte. Er
war groß und schlank, hatte ein bedeutsames und
ernstes Gesicht mit einer stark gebogenen Nase
und einem sorgfältig gedrehten Schnurbart und
trug sehr feine Wäsche. In hochdeutscher
Sprache redete er mich an: "Darf man wohl
ein wenig Ihre Arbeit besehen, junger Herr?"
Halb erfreut und halb verlegen hielt ich meine
Zeichnung hin, welche er einige Augenblicke auf¬
merksam besah; dann fragte er mich, ob ich noch
mehr in meiner Mappe bei mir hätte und ob ich
wirklicher Künstler werden wollte. Ich trug
allerdings immer einen Vorrath des zuletzt Ge¬
machten mit mir herum, wenn ich nach der
Natur zeichnete, um jedenfalls Etwas zu tragen,
wenn ich einen unergiebigen Tag hatte, und
während ich nun die Sachen nach und nach her¬

und ſah in Gedanken verloren auf das Papier
und mit einem wehmuͤthigen Laͤcheln. Da uͤber¬
ſchattete ſich ploͤtzlich der weiße Bogen auf meinen
Knieen, der vorher von der Sonne beglaͤnzt war;
erſchrocken ſchaute ich um und ſah einen an¬
ſehnlichen, fremd gekleideten Mann hinter mir
ſtehen, welcher den Schatten verurſachte. Er
war groß und ſchlank, hatte ein bedeutſames und
ernſtes Geſicht mit einer ſtark gebogenen Naſe
und einem ſorgfaͤltig gedrehten Schnurbart und
trug ſehr feine Waͤſche. In hochdeutſcher
Sprache redete er mich an: »Darf man wohl
ein wenig Ihre Arbeit beſehen, junger Herr?«
Halb erfreut und halb verlegen hielt ich meine
Zeichnung hin, welche er einige Augenblicke auf¬
merkſam beſah; dann fragte er mich, ob ich noch
mehr in meiner Mappe bei mir haͤtte und ob ich
wirklicher Kuͤnſtler werden wollte. Ich trug
allerdings immer einen Vorrath des zuletzt Ge¬
machten mit mir herum, wenn ich nach der
Natur zeichnete, um jedenfalls Etwas zu tragen,
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[14/0024] und ſah in Gedanken verloren auf das Papier und mit einem wehmuͤthigen Laͤcheln. Da uͤber¬ ſchattete ſich ploͤtzlich der weiße Bogen auf meinen Knieen, der vorher von der Sonne beglaͤnzt war; erſchrocken ſchaute ich um und ſah einen an¬ ſehnlichen, fremd gekleideten Mann hinter mir ſtehen, welcher den Schatten verurſachte. Er war groß und ſchlank, hatte ein bedeutſames und ernſtes Geſicht mit einer ſtark gebogenen Naſe und einem ſorgfaͤltig gedrehten Schnurbart und trug ſehr feine Waͤſche. In hochdeutſcher Sprache redete er mich an: »Darf man wohl ein wenig Ihre Arbeit beſehen, junger Herr?« Halb erfreut und halb verlegen hielt ich meine Zeichnung hin, welche er einige Augenblicke auf¬ merkſam beſah; dann fragte er mich, ob ich noch mehr in meiner Mappe bei mir haͤtte und ob ich wirklicher Kuͤnſtler werden wollte. Ich trug allerdings immer einen Vorrath des zuletzt Ge¬ machten mit mir herum, wenn ich nach der Natur zeichnete, um jedenfalls Etwas zu tragen, wenn ich einen unergiebigen Tag hatte, und waͤhrend ich nun die Sachen nach und nach her¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/24>, abgerufen am 23.11.2024.