Mit durchdringender, klagender Stimme rief sie, vom Schluchzen unterbrochen, nach Ferdinand, nach ihrer Mutter. In größter Rathlosigkeit such¬ ten die Gesellen sie zu beruhigen und aufzurich¬ ten, zugleich befürchtend, daß andere Gäste her¬ beikommen und Agnesens bedenklichen Zustand sehen möchten.
Allein ihr Schrecken wurde noch größer, als die Thränen unversehens versiegten, Agnes vom Stuhle sank und in wilde Krämpfe und Zuckun¬ gen verfiel. Sie warf ihre feinen weißen Arme umher, die Brust drohte das spannende Silber¬ gewand zu sprengen, und die schönen dunkelblauen Augen rollten wie irre Sterne in dem bleichen Gesicht Heinrich wollte nach Hülfe rufen, aber der Bergkönig, welcher der älteste war, hielt ihn davon ab, um einen allgemeinen Auftritt zu ver¬ hüten. Sie hofften, der Anfall würde vorüber¬ gehen, sprengten ihr Wasser in's Gesicht und lüf¬ teten das Brustgewand, daß der kleine pochende Busen offen leuchtete. Heinrich hielt das schöne tobende Mädchen, das mehr dem Tode, als dem Leben nahe schien, auf seinen Knieen, da kein
Mit durchdringender, klagender Stimme rief ſie, vom Schluchzen unterbrochen, nach Ferdinand, nach ihrer Mutter. In groͤßter Rathloſigkeit ſuch¬ ten die Geſellen ſie zu beruhigen und aufzurich¬ ten, zugleich befuͤrchtend, daß andere Gaͤſte her¬ beikommen und Agneſens bedenklichen Zuſtand ſehen moͤchten.
Allein ihr Schrecken wurde noch groͤßer, als die Thraͤnen unverſehens verſiegten, Agnes vom Stuhle ſank und in wilde Kraͤmpfe und Zuckun¬ gen verfiel. Sie warf ihre feinen weißen Arme umher, die Bruſt drohte das ſpannende Silber¬ gewand zu ſprengen, und die ſchoͤnen dunkelblauen Augen rollten wie irre Sterne in dem bleichen Geſicht Heinrich wollte nach Huͤlfe rufen, aber der Bergkoͤnig, welcher der aͤlteſte war, hielt ihn davon ab, um einen allgemeinen Auftritt zu ver¬ huͤten. Sie hofften, der Anfall wuͤrde voruͤber¬ gehen, ſprengten ihr Waſſer in's Geſicht und luͤf¬ teten das Bruſtgewand, daß der kleine pochende Buſen offen leuchtete. Heinrich hielt das ſchoͤne tobende Maͤdchen, das mehr dem Tode, als dem Leben nahe ſchien, auf ſeinen Knieen, da kein
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Mit durchdringender, klagender Stimme rief
ſie, vom Schluchzen unterbrochen, nach Ferdinand,
nach ihrer Mutter. In groͤßter Rathloſigkeit ſuch¬
ten die Geſellen ſie zu beruhigen und aufzurich¬
ten, zugleich befuͤrchtend, daß andere Gaͤſte her¬
beikommen und Agneſens bedenklichen Zuſtand
ſehen moͤchten.
Allein ihr Schrecken wurde noch groͤßer, als
die Thraͤnen unverſehens verſiegten, Agnes vom
Stuhle ſank und in wilde Kraͤmpfe und Zuckun¬
gen verfiel. Sie warf ihre feinen weißen Arme
umher, die Bruſt drohte das ſpannende Silber¬
gewand zu ſprengen, und die ſchoͤnen dunkelblauen
Augen rollten wie irre Sterne in dem bleichen
Geſicht Heinrich wollte nach Huͤlfe rufen, aber
der Bergkoͤnig, welcher der aͤlteſte war, hielt ihn
davon ab, um einen allgemeinen Auftritt zu ver¬
huͤten. Sie hofften, der Anfall wuͤrde voruͤber¬
gehen, ſprengten ihr Waſſer in's Geſicht und luͤf¬
teten das Bruſtgewand, daß der kleine pochende
Buſen offen leuchtete. Heinrich hielt das ſchoͤne
tobende Maͤdchen, das mehr dem Tode, als dem
Leben nahe ſchien, auf ſeinen Knieen, da kein
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/352>, abgerufen am 22.11.2024.
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