Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Wein und Gesang vollendeten. Auch sagte ihm
ein schlauer Instinkt, daß er, wenn er anders das
tüchtige Erlebniß, das thatkräftige Gebaren, das
ihn lockend durchfieberte, nicht verlieren wollte,
die Sache nicht vorher beschlafen und mit der
Einkehr in seine Behausung und bei sich selbst
etwa auf nüchterne Gedanken kommen dürfe.

Er sah jetzt nur das Kreuzen der glänzenden
Klingen, mit welchem er das Dasein Gottes ent¬
weder in die Brust des liebsten Freundes schrei¬
ben, oder es mit seinem eigenen Blute besiegeln
wollte. Beides reizte ihn gleich angenehm, und
er dachte daher an Ferdinand mit ungewöhnlicher
Zärtlichkeit, wie an ein köstliches Pergament, auf
welches man seine heiligste Ueberzeugung schreiben
will. Der Morgen ging endlich auf und Heinrich
eilte an den verabredeten Ort. Unterwegs kam
er an seiner Wohnung vorbei; aber er ging nicht
hinein, um nur das Geringste zu besorgen, son¬
dern eilte hastig weiter. An einem Brunnen
wusch er sich sorgfältig Gesicht und Hände und
ordnete seine Kleider, und darauf trat er frisch
und munter, mit seltsam gespannter Lebenskraft

Wein und Geſang vollendeten. Auch ſagte ihm
ein ſchlauer Inſtinkt, daß er, wenn er anders das
tuͤchtige Erlebniß, das thatkraͤftige Gebaren, das
ihn lockend durchfieberte, nicht verlieren wollte,
die Sache nicht vorher beſchlafen und mit der
Einkehr in ſeine Behauſung und bei ſich ſelbſt
etwa auf nuͤchterne Gedanken kommen duͤrfe.

Er ſah jetzt nur das Kreuzen der glaͤnzenden
Klingen, mit welchem er das Daſein Gottes ent¬
weder in die Bruſt des liebſten Freundes ſchrei¬
ben, oder es mit ſeinem eigenen Blute beſiegeln
wollte. Beides reizte ihn gleich angenehm, und
er dachte daher an Ferdinand mit ungewoͤhnlicher
Zaͤrtlichkeit, wie an ein koͤſtliches Pergament, auf
welches man ſeine heiligſte Ueberzeugung ſchreiben
will. Der Morgen ging endlich auf und Heinrich
eilte an den verabredeten Ort. Unterwegs kam
er an ſeiner Wohnung vorbei; aber er ging nicht
hinein, um nur das Geringſte zu beſorgen, ſon¬
dern eilte haſtig weiter. An einem Brunnen
wuſch er ſich ſorgfaͤltig Geſicht und Haͤnde und
ordnete ſeine Kleider, und darauf trat er friſch
und munter, mit ſeltſam geſpannter Lebenskraft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0366" n="356"/>
Wein und Ge&#x017F;ang vollendeten. Auch &#x017F;agte ihm<lb/>
ein &#x017F;chlauer In&#x017F;tinkt, daß er, wenn er anders das<lb/>
tu&#x0364;chtige Erlebniß, das thatkra&#x0364;ftige Gebaren, das<lb/>
ihn lockend durchfieberte, nicht verlieren wollte,<lb/>
die Sache nicht vorher be&#x017F;chlafen und mit der<lb/>
Einkehr in &#x017F;eine Behau&#x017F;ung und bei &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
etwa auf nu&#x0364;chterne Gedanken kommen du&#x0364;rfe.</p><lb/>
        <p>Er &#x017F;ah jetzt nur das Kreuzen der gla&#x0364;nzenden<lb/>
Klingen, mit welchem er das Da&#x017F;ein Gottes ent¬<lb/>
weder in die Bru&#x017F;t des lieb&#x017F;ten Freundes &#x017F;chrei¬<lb/>
ben, oder es mit &#x017F;einem eigenen Blute be&#x017F;iegeln<lb/>
wollte. Beides reizte ihn gleich angenehm, und<lb/>
er dachte daher an Ferdinand mit ungewo&#x0364;hnlicher<lb/>
Za&#x0364;rtlichkeit, wie an ein ko&#x0364;&#x017F;tliches Pergament, auf<lb/>
welches man &#x017F;eine heilig&#x017F;te Ueberzeugung &#x017F;chreiben<lb/>
will. Der Morgen ging endlich auf und Heinrich<lb/>
eilte an den verabredeten Ort. Unterwegs kam<lb/>
er an &#x017F;einer Wohnung vorbei; aber er ging nicht<lb/>
hinein, um nur das Gering&#x017F;te zu be&#x017F;orgen, &#x017F;on¬<lb/>
dern eilte ha&#x017F;tig weiter. An einem Brunnen<lb/>
wu&#x017F;ch er &#x017F;ich &#x017F;orgfa&#x0364;ltig Ge&#x017F;icht und Ha&#x0364;nde und<lb/>
ordnete &#x017F;eine Kleider, und darauf trat er fri&#x017F;ch<lb/>
und munter, mit &#x017F;elt&#x017F;am ge&#x017F;pannter Lebenskraft<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[356/0366] Wein und Geſang vollendeten. Auch ſagte ihm ein ſchlauer Inſtinkt, daß er, wenn er anders das tuͤchtige Erlebniß, das thatkraͤftige Gebaren, das ihn lockend durchfieberte, nicht verlieren wollte, die Sache nicht vorher beſchlafen und mit der Einkehr in ſeine Behauſung und bei ſich ſelbſt etwa auf nuͤchterne Gedanken kommen duͤrfe. Er ſah jetzt nur das Kreuzen der glaͤnzenden Klingen, mit welchem er das Daſein Gottes ent¬ weder in die Bruſt des liebſten Freundes ſchrei¬ ben, oder es mit ſeinem eigenen Blute beſiegeln wollte. Beides reizte ihn gleich angenehm, und er dachte daher an Ferdinand mit ungewoͤhnlicher Zaͤrtlichkeit, wie an ein koͤſtliches Pergament, auf welches man ſeine heiligſte Ueberzeugung ſchreiben will. Der Morgen ging endlich auf und Heinrich eilte an den verabredeten Ort. Unterwegs kam er an ſeiner Wohnung vorbei; aber er ging nicht hinein, um nur das Geringſte zu beſorgen, ſon¬ dern eilte haſtig weiter. An einem Brunnen wuſch er ſich ſorgfaͤltig Geſicht und Haͤnde und ordnete ſeine Kleider, und darauf trat er friſch und munter, mit ſeltſam geſpannter Lebenskraft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/366
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/366>, abgerufen am 04.12.2024.