Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

und diese desto früher anzutreten, wo ich dann
selbst sehen und holen könne, was Römer be¬
säße.

Das Wort Reisen war nun schon wiederholt
vorgekommen und war hinreichend, meine Mutter
zu bestimmen, jeden Pfennig zur Ausstattung
aufzubewahren. Daher theilte sie mir die be¬
denklichen Aeußerungen mit, ohne zu viel Gewicht
auf die den Charakter betreffenden zu legen, welche
ich auch mit Entrüstung zu Nichte machte; denn
ich war schon dagegen gewaffnet, indem ich aus
verschiedenen räthselhaften Aeußerungen Römer's
entnommen, daß er mit der Welt nicht zum
Besten stehe und viel Unrecht erlitten habe. Ja,
es hatte sich schon eine verständnißvolle eigene
Sprache über diesen Punkt zwischen uns ausge¬
bildet, indem ich mit ehrerbietiger Theilnahme
seine Klagen entgegennahm und so erwiederte,
als ob ich selbst schon die bittersten Erfahrungen
gemacht oder wenigstens zu erwarten hätte, welche
ich aber festen Fußes erwarten und dann zugleich
mich und ihn rächen wollte. Wenn Römer hier¬
auf mich zurechtwies und erinnerte, daß ich die

und dieſe deſto fruͤher anzutreten, wo ich dann
ſelbſt ſehen und holen koͤnne, was Roͤmer be¬
ſaͤße.

Das Wort Reiſen war nun ſchon wiederholt
vorgekommen und war hinreichend, meine Mutter
zu beſtimmen, jeden Pfennig zur Ausſtattung
aufzubewahren. Daher theilte ſie mir die be¬
denklichen Aeußerungen mit, ohne zu viel Gewicht
auf die den Charakter betreffenden zu legen, welche
ich auch mit Entruͤſtung zu Nichte machte; denn
ich war ſchon dagegen gewaffnet, indem ich aus
verſchiedenen raͤthſelhaften Aeußerungen Roͤmer's
entnommen, daß er mit der Welt nicht zum
Beſten ſtehe und viel Unrecht erlitten habe. Ja,
es hatte ſich ſchon eine verſtaͤndnißvolle eigene
Sprache uͤber dieſen Punkt zwiſchen uns ausge¬
bildet, indem ich mit ehrerbietiger Theilnahme
ſeine Klagen entgegennahm und ſo erwiederte,
als ob ich ſelbſt ſchon die bitterſten Erfahrungen
gemacht oder wenigſtens zu erwarten haͤtte, welche
ich aber feſten Fußes erwarten und dann zugleich
mich und ihn raͤchen wollte. Wenn Roͤmer hier¬
auf mich zurechtwies und erinnerte, daß ich die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0038" n="28"/>
und die&#x017F;e de&#x017F;to fru&#x0364;her anzutreten, wo ich dann<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ehen und holen ko&#x0364;nne, was Ro&#x0364;mer be¬<lb/>
&#x017F;a&#x0364;ße.</p><lb/>
        <p>Das Wort Rei&#x017F;en war nun &#x017F;chon wiederholt<lb/>
vorgekommen und war hinreichend, meine Mutter<lb/>
zu be&#x017F;timmen, jeden Pfennig zur Aus&#x017F;tattung<lb/>
aufzubewahren. Daher theilte &#x017F;ie mir die be¬<lb/>
denklichen Aeußerungen mit, ohne zu viel Gewicht<lb/>
auf die den Charakter betreffenden zu legen, welche<lb/>
ich auch mit Entru&#x0364;&#x017F;tung zu Nichte machte; denn<lb/>
ich war &#x017F;chon dagegen gewaffnet, indem ich aus<lb/>
ver&#x017F;chiedenen ra&#x0364;th&#x017F;elhaften Aeußerungen Ro&#x0364;mer's<lb/>
entnommen, daß er mit der Welt nicht zum<lb/>
Be&#x017F;ten &#x017F;tehe und viel Unrecht erlitten habe. Ja,<lb/>
es hatte &#x017F;ich &#x017F;chon eine ver&#x017F;ta&#x0364;ndnißvolle eigene<lb/>
Sprache u&#x0364;ber die&#x017F;en Punkt zwi&#x017F;chen uns ausge¬<lb/>
bildet, indem ich mit ehrerbietiger Theilnahme<lb/>
&#x017F;eine Klagen entgegennahm und &#x017F;o erwiederte,<lb/>
als ob ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon die bitter&#x017F;ten Erfahrungen<lb/>
gemacht oder wenig&#x017F;tens zu erwarten ha&#x0364;tte, welche<lb/>
ich aber fe&#x017F;ten Fußes erwarten und dann zugleich<lb/>
mich und ihn ra&#x0364;chen wollte. Wenn Ro&#x0364;mer hier¬<lb/>
auf mich zurechtwies und erinnerte, daß ich die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0038] und dieſe deſto fruͤher anzutreten, wo ich dann ſelbſt ſehen und holen koͤnne, was Roͤmer be¬ ſaͤße. Das Wort Reiſen war nun ſchon wiederholt vorgekommen und war hinreichend, meine Mutter zu beſtimmen, jeden Pfennig zur Ausſtattung aufzubewahren. Daher theilte ſie mir die be¬ denklichen Aeußerungen mit, ohne zu viel Gewicht auf die den Charakter betreffenden zu legen, welche ich auch mit Entruͤſtung zu Nichte machte; denn ich war ſchon dagegen gewaffnet, indem ich aus verſchiedenen raͤthſelhaften Aeußerungen Roͤmer's entnommen, daß er mit der Welt nicht zum Beſten ſtehe und viel Unrecht erlitten habe. Ja, es hatte ſich ſchon eine verſtaͤndnißvolle eigene Sprache uͤber dieſen Punkt zwiſchen uns ausge¬ bildet, indem ich mit ehrerbietiger Theilnahme ſeine Klagen entgegennahm und ſo erwiederte, als ob ich ſelbſt ſchon die bitterſten Erfahrungen gemacht oder wenigſtens zu erwarten haͤtte, welche ich aber feſten Fußes erwarten und dann zugleich mich und ihn raͤchen wollte. Wenn Roͤmer hier¬ auf mich zurechtwies und erinnerte, daß ich die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/38
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/38>, abgerufen am 23.11.2024.