Mantel erkennend. Ich eilte damit in die Küche, wo ich die Mutter beschäftigt fand, ein feineres Essen, als gewöhnlich, zu bereiten. Sie bestätigte mir die Ankunft des Schulmeisters und seiner Tochter, setzte aber sogleich mit besorgtem Ernst hinzu, daß dieselben nicht zum Vergnügen gekommen wären, sondern um einen berühmten Arzt zu be¬ suchen. Während die Mutter in die Stube ging und den Tisch deckte, deutete sie mir mit einigen Worten an, daß sich bei Anna seltsame und be¬ ängstigende Anzeichen eingestellt hätten, daß der Schulmeister sehr bekümmert sei und sie, die Mutter, selbst nicht minder, denn nach der gan¬ zen Erscheinung des armen Mädchens glaube sie nicht, daß das feine zarte Wesen, lange leben würde.
Ich saß auf dem Ruhbette, hielt den Mantel fest in meinen Händen und hörte ganz verwun¬ dert auf diese Worte, die mir so unerwartet und fremd klangen, daß sie mir mehr wunderlich als erschreckend vorkamen. In diesem Augenblicke ging die Thür auf, und die eben so geliebten, als wahrhaft geehrten Gäste traten herein. Ueber¬
Mantel erkennend. Ich eilte damit in die Kuͤche, wo ich die Mutter beſchaͤftigt fand, ein feineres Eſſen, als gewoͤhnlich, zu bereiten. Sie beſtaͤtigte mir die Ankunft des Schulmeiſters und ſeiner Tochter, ſetzte aber ſogleich mit beſorgtem Ernſt hinzu, daß dieſelben nicht zum Vergnuͤgen gekommen waͤren, ſondern um einen beruͤhmten Arzt zu be¬ ſuchen. Waͤhrend die Mutter in die Stube ging und den Tiſch deckte, deutete ſie mir mit einigen Worten an, daß ſich bei Anna ſeltſame und be¬ aͤngſtigende Anzeichen eingeſtellt haͤtten, daß der Schulmeiſter ſehr bekuͤmmert ſei und ſie, die Mutter, ſelbſt nicht minder, denn nach der gan¬ zen Erſcheinung des armen Maͤdchens glaube ſie nicht, daß das feine zarte Weſen, lange leben wuͤrde.
Ich ſaß auf dem Ruhbette, hielt den Mantel feſt in meinen Haͤnden und hoͤrte ganz verwun¬ dert auf dieſe Worte, die mir ſo unerwartet und fremd klangen, daß ſie mir mehr wunderlich als erſchreckend vorkamen. In dieſem Augenblicke ging die Thuͤr auf, und die eben ſo geliebten, als wahrhaft geehrten Gaͤſte traten herein. Ueber¬
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Mantel erkennend. Ich eilte damit in die Kuͤche,
wo ich die Mutter beſchaͤftigt fand, ein feineres
Eſſen, als gewoͤhnlich, zu bereiten. Sie beſtaͤtigte
mir die Ankunft des Schulmeiſters und ſeiner
Tochter, ſetzte aber ſogleich mit beſorgtem Ernſt
hinzu, daß dieſelben nicht zum Vergnuͤgen gekommen
waͤren, ſondern um einen beruͤhmten Arzt zu be¬
ſuchen. Waͤhrend die Mutter in die Stube ging
und den Tiſch deckte, deutete ſie mir mit einigen
Worten an, daß ſich bei Anna ſeltſame und be¬
aͤngſtigende Anzeichen eingeſtellt haͤtten, daß der
Schulmeiſter ſehr bekuͤmmert ſei und ſie, die
Mutter, ſelbſt nicht minder, denn nach der gan¬
zen Erſcheinung des armen Maͤdchens glaube ſie
nicht, daß das feine zarte Weſen, lange leben
wuͤrde.
Ich ſaß auf dem Ruhbette, hielt den Mantel
feſt in meinen Haͤnden und hoͤrte ganz verwun¬
dert auf dieſe Worte, die mir ſo unerwartet und
fremd klangen, daß ſie mir mehr wunderlich als
erſchreckend vorkamen. In dieſem Augenblicke
ging die Thuͤr auf, und die eben ſo geliebten,
als wahrhaft geehrten Gaͤſte traten herein. Ueber¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/54>, abgerufen am 23.11.2024.
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