Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

welche jedoch durch ihre liebliche Gegenwart bald
wieder zerstreut wurde, und als sie nun selbst, in
Gegenwart ihres Vaters, leise anfing, von einem
Traume zu sprechen, den sie vor einigen Tagen
geträumt, und ich daher sah, daß sie Willens sei,
mich in das vermeintliche Geheimniß zu ziehen,
glaubte ich unverweilt an die Sache, ehrte sie
und fand sie nur um so liebenswürdiger, je mehr
ich vorhin daran gezweifelt.

Als ich mich allein befand, dachte ich mehr
darüber nach und erinnerte mich, von solchen Be¬
richten gelesen zu haben, wo, ohne etwas Wun¬
derbares und Uebernatürliches anzunehmen, auf
noch unerforschte Gebiete und Fähigkeiten der
Natur selbst hingewiesen wurde, so wie ich über¬
haupt bei reiflicher Betrachtung noch manches
verborgene Band und Gesetz möglich halten mußte,
wenn ich meine größte Möglichkeit, den lieben
Gott, nicht zu sehr bloßstellen und in eine öde
Einsamkeit bannen wollte.

Ich lag im Bette, als mir diese Gedanken
klar wurden und ich mit denselben der Unschuld

welche jedoch durch ihre liebliche Gegenwart bald
wieder zerſtreut wurde, und als ſie nun ſelbſt, in
Gegenwart ihres Vaters, leiſe anfing, von einem
Traume zu ſprechen, den ſie vor einigen Tagen
getraͤumt, und ich daher ſah, daß ſie Willens ſei,
mich in das vermeintliche Geheimniß zu ziehen,
glaubte ich unverweilt an die Sache, ehrte ſie
und fand ſie nur um ſo liebenswuͤrdiger, je mehr
ich vorhin daran gezweifelt.

Als ich mich allein befand, dachte ich mehr
daruͤber nach und erinnerte mich, von ſolchen Be¬
richten geleſen zu haben, wo, ohne etwas Wun¬
derbares und Uebernatuͤrliches anzunehmen, auf
noch unerforſchte Gebiete und Faͤhigkeiten der
Natur ſelbſt hingewieſen wurde, ſo wie ich uͤber¬
haupt bei reiflicher Betrachtung noch manches
verborgene Band und Geſetz moͤglich halten mußte,
wenn ich meine groͤßte Moͤglichkeit, den lieben
Gott, nicht zu ſehr bloßſtellen und in eine oͤde
Einſamkeit bannen wollte.

Ich lag im Bette, als mir dieſe Gedanken
klar wurden und ich mit denſelben der Unſchuld

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0076" n="66"/>
welche jedoch durch ihre liebliche Gegenwart bald<lb/>
wieder zer&#x017F;treut wurde, und als &#x017F;ie nun &#x017F;elb&#x017F;t, in<lb/>
Gegenwart ihres Vaters, lei&#x017F;e anfing, von einem<lb/>
Traume zu &#x017F;prechen, den &#x017F;ie vor einigen Tagen<lb/>
getra&#x0364;umt, und ich daher &#x017F;ah, daß &#x017F;ie Willens &#x017F;ei,<lb/>
mich in das vermeintliche Geheimniß zu ziehen,<lb/>
glaubte ich unverweilt an die Sache, ehrte &#x017F;ie<lb/>
und fand &#x017F;ie nur um &#x017F;o liebenswu&#x0364;rdiger, je mehr<lb/>
ich vorhin daran gezweifelt.</p><lb/>
        <p>Als ich mich allein befand, dachte ich mehr<lb/>
daru&#x0364;ber nach und erinnerte mich, von &#x017F;olchen Be¬<lb/>
richten gele&#x017F;en zu haben, wo, ohne etwas Wun¬<lb/>
derbares und Uebernatu&#x0364;rliches anzunehmen, auf<lb/>
noch unerfor&#x017F;chte Gebiete und Fa&#x0364;higkeiten der<lb/>
Natur &#x017F;elb&#x017F;t hingewie&#x017F;en wurde, &#x017F;o wie ich u&#x0364;ber¬<lb/>
haupt bei reiflicher Betrachtung noch manches<lb/>
verborgene Band und Ge&#x017F;etz mo&#x0364;glich halten mußte,<lb/>
wenn ich meine gro&#x0364;ßte Mo&#x0364;glichkeit, den lieben<lb/>
Gott, nicht zu &#x017F;ehr bloß&#x017F;tellen und in eine o&#x0364;de<lb/>
Ein&#x017F;amkeit bannen wollte.</p><lb/>
        <p>Ich lag im Bette, als mir die&#x017F;e Gedanken<lb/>
klar wurden und ich mit den&#x017F;elben der Un&#x017F;chuld<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0076] welche jedoch durch ihre liebliche Gegenwart bald wieder zerſtreut wurde, und als ſie nun ſelbſt, in Gegenwart ihres Vaters, leiſe anfing, von einem Traume zu ſprechen, den ſie vor einigen Tagen getraͤumt, und ich daher ſah, daß ſie Willens ſei, mich in das vermeintliche Geheimniß zu ziehen, glaubte ich unverweilt an die Sache, ehrte ſie und fand ſie nur um ſo liebenswuͤrdiger, je mehr ich vorhin daran gezweifelt. Als ich mich allein befand, dachte ich mehr daruͤber nach und erinnerte mich, von ſolchen Be¬ richten geleſen zu haben, wo, ohne etwas Wun¬ derbares und Uebernatuͤrliches anzunehmen, auf noch unerforſchte Gebiete und Faͤhigkeiten der Natur ſelbſt hingewieſen wurde, ſo wie ich uͤber¬ haupt bei reiflicher Betrachtung noch manches verborgene Band und Geſetz moͤglich halten mußte, wenn ich meine groͤßte Moͤglichkeit, den lieben Gott, nicht zu ſehr bloßſtellen und in eine oͤde Einſamkeit bannen wollte. Ich lag im Bette, als mir dieſe Gedanken klar wurden und ich mit denſelben der Unſchuld

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/76
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/76>, abgerufen am 27.11.2024.