Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Mädchen sich an dem Feste höchst leidenschaftlich
und ungeberdig übernommen, sich berauscht und
so den reichen Holländer, dessen Hand ihr schon
sicher gewesen sei, von sich abgeschreckt und zu
eiliger Flucht bewogen hätte. Diese Sage drang
auch in ihr Haus, die zornige Mutter, welche
eine geborgene glanzvolle Zukunft sich entschwin¬
den sah, überhäufte die Arme mit ihren singenden
monotonen Vorwürfen, und so saß Agnes, welche
selbst einen Theil dieses Geredes für wahr hielt
und sich schuldig glaubte, voll Scham und Furcht
und in verlorner Sehnsucht da.

Da Heinrich in jener Nacht über dem Streite
mit Ferdinand ganz seine Absicht vergessen hatte,
Agnesens Mutter von dem Unfalle zu benachrich¬
tigen, und also weder diese, noch Ferdinand, noch
Heinrich wieder in dem Landhause erschienen, so
hatte sich das verlassene Mädchen aufgerafft und
entschieden begehrt, in die Stadt gebracht zu
werden. Sie war daher in einen Wagen gesetzt
und durch die Gärtnersfrau begleitet worden.
Ueberdies hatte sich der rheinische Gottesmacher
auf den Bock gesetzt und war treulich besorgt

Maͤdchen ſich an dem Feſte hoͤchſt leidenſchaftlich
und ungeberdig uͤbernommen, ſich berauſcht und
ſo den reichen Hollaͤnder, deſſen Hand ihr ſchon
ſicher geweſen ſei, von ſich abgeſchreckt und zu
eiliger Flucht bewogen haͤtte. Dieſe Sage drang
auch in ihr Haus, die zornige Mutter, welche
eine geborgene glanzvolle Zukunft ſich entſchwin¬
den ſah, uͤberhaͤufte die Arme mit ihren ſingenden
monotonen Vorwuͤrfen, und ſo ſaß Agnes, welche
ſelbſt einen Theil dieſes Geredes fuͤr wahr hielt
und ſich ſchuldig glaubte, voll Scham und Furcht
und in verlorner Sehnſucht da.

Da Heinrich in jener Nacht uͤber dem Streite
mit Ferdinand ganz ſeine Abſicht vergeſſen hatte,
Agneſens Mutter von dem Unfalle zu benachrich¬
tigen, und alſo weder dieſe, noch Ferdinand, noch
Heinrich wieder in dem Landhauſe erſchienen, ſo
hatte ſich das verlaſſene Maͤdchen aufgerafft und
entſchieden begehrt, in die Stadt gebracht zu
werden. Sie war daher in einen Wagen geſetzt
und durch die Gaͤrtnersfrau begleitet worden.
Ueberdies hatte ſich der rheiniſche Gottesmacher
auf den Bock geſetzt und war treulich beſorgt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012" n="2"/>
Ma&#x0364;dchen &#x017F;ich an dem Fe&#x017F;te ho&#x0364;ch&#x017F;t leiden&#x017F;chaftlich<lb/>
und ungeberdig u&#x0364;bernommen, &#x017F;ich berau&#x017F;cht und<lb/>
&#x017F;o den reichen Holla&#x0364;nder, de&#x017F;&#x017F;en Hand ihr &#x017F;chon<lb/>
&#x017F;icher gewe&#x017F;en &#x017F;ei, von &#x017F;ich abge&#x017F;chreckt und zu<lb/>
eiliger Flucht bewogen ha&#x0364;tte. Die&#x017F;e Sage drang<lb/>
auch in ihr Haus, die zornige Mutter, welche<lb/>
eine geborgene glanzvolle Zukunft &#x017F;ich ent&#x017F;chwin¬<lb/>
den &#x017F;ah, u&#x0364;berha&#x0364;ufte die Arme mit ihren &#x017F;ingenden<lb/>
monotonen Vorwu&#x0364;rfen, und &#x017F;o &#x017F;aß Agnes, welche<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t einen Theil die&#x017F;es Geredes fu&#x0364;r wahr hielt<lb/>
und &#x017F;ich &#x017F;chuldig glaubte, voll Scham und Furcht<lb/>
und in verlorner Sehn&#x017F;ucht da.</p><lb/>
        <p>Da Heinrich in jener Nacht u&#x0364;ber dem Streite<lb/>
mit Ferdinand ganz &#x017F;eine Ab&#x017F;icht verge&#x017F;&#x017F;en hatte,<lb/>
Agne&#x017F;ens Mutter von dem Unfalle zu benachrich¬<lb/>
tigen, und al&#x017F;o weder die&#x017F;e, noch Ferdinand, noch<lb/>
Heinrich wieder in dem Landhau&#x017F;e er&#x017F;chienen, &#x017F;o<lb/>
hatte &#x017F;ich das verla&#x017F;&#x017F;ene Ma&#x0364;dchen aufgerafft und<lb/>
ent&#x017F;chieden begehrt, in die Stadt gebracht zu<lb/>
werden. Sie war daher in einen Wagen ge&#x017F;etzt<lb/>
und durch die Ga&#x0364;rtnersfrau begleitet worden.<lb/>
Ueberdies hatte &#x017F;ich der rheini&#x017F;che Gottesmacher<lb/>
auf den Bock ge&#x017F;etzt und war treulich be&#x017F;orgt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0012] Maͤdchen ſich an dem Feſte hoͤchſt leidenſchaftlich und ungeberdig uͤbernommen, ſich berauſcht und ſo den reichen Hollaͤnder, deſſen Hand ihr ſchon ſicher geweſen ſei, von ſich abgeſchreckt und zu eiliger Flucht bewogen haͤtte. Dieſe Sage drang auch in ihr Haus, die zornige Mutter, welche eine geborgene glanzvolle Zukunft ſich entſchwin¬ den ſah, uͤberhaͤufte die Arme mit ihren ſingenden monotonen Vorwuͤrfen, und ſo ſaß Agnes, welche ſelbſt einen Theil dieſes Geredes fuͤr wahr hielt und ſich ſchuldig glaubte, voll Scham und Furcht und in verlorner Sehnſucht da. Da Heinrich in jener Nacht uͤber dem Streite mit Ferdinand ganz ſeine Abſicht vergeſſen hatte, Agneſens Mutter von dem Unfalle zu benachrich¬ tigen, und alſo weder dieſe, noch Ferdinand, noch Heinrich wieder in dem Landhauſe erſchienen, ſo hatte ſich das verlaſſene Maͤdchen aufgerafft und entſchieden begehrt, in die Stadt gebracht zu werden. Sie war daher in einen Wagen geſetzt und durch die Gaͤrtnersfrau begleitet worden. Ueberdies hatte ſich der rheiniſche Gottesmacher auf den Bock geſetzt und war treulich beſorgt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/12
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/12>, abgerufen am 21.11.2024.