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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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eine Macaronipastete in seinem Laden, zwischen
welche er kleine Bratwürstchen und Schinken
hackte, welche unerlaubte Fragmente er spaßhaft
Sünder nannte und, indem er seinem Gast vorlegte,
eifrig aussuchte und zuschob.

Hierbei blieb er aber nicht stehen, sondern eines
Tages, als er den armen jungen Heiden beson¬
ders kirre gemacht, wickelte er eine fette Ganskeule
nebst einem Stück Brot in ein Papier und suchte
es ihm schmunzelnd in die Tasche zu stecken.
Heinrich wehrte sich ganz roth werdend heftig da¬
gegen; wie aber der Alte den Finger aufhob und
leise sagte: "Na, was ist denn das? Es braucht's
ja kein Mensch zu wissen!" da ergab er sich de¬
müthig in den Willen des seltsamen Mannes,
der ein unerklärliches Vergnügen zu empfinden
schien, den ihm fremden Menschen auf diese Weise
gemüthlich zu tyrannisiren. Das Seltsamste
war, daß er sich nicht um dessen Herkunft und
Schicksal bekümmerte, nicht einmal fragte, wo er
wohne, und am wenigsten den Gründen seiner
jetzigen Armuth nachforschte. Das schien sich
Alles von selbst zu verstehen.

eine Macaronipaſtete in ſeinem Laden, zwiſchen
welche er kleine Bratwuͤrſtchen und Schinken
hackte, welche unerlaubte Fragmente er ſpaßhaft
Suͤnder nannte und, indem er ſeinem Gaſt vorlegte,
eifrig ausſuchte und zuſchob.

Hierbei blieb er aber nicht ſtehen, ſondern eines
Tages, als er den armen jungen Heiden beſon¬
ders kirre gemacht, wickelte er eine fette Ganskeule
nebſt einem Stuͤck Brot in ein Papier und ſuchte
es ihm ſchmunzelnd in die Taſche zu ſtecken.
Heinrich wehrte ſich ganz roth werdend heftig da¬
gegen; wie aber der Alte den Finger aufhob und
leiſe ſagte: »Na, was iſt denn das? Es braucht's
ja kein Menſch zu wiſſen!« da ergab er ſich de¬
muͤthig in den Willen des ſeltſamen Mannes,
der ein unerklaͤrliches Vergnuͤgen zu empfinden
ſchien, den ihm fremden Menſchen auf dieſe Weiſe
gemuͤthlich zu tyranniſiren. Das Seltſamſte
war, daß er ſich nicht um deſſen Herkunft und
Schickſal bekuͤmmerte, nicht einmal fragte, wo er
wohne, und am wenigſten den Gruͤnden ſeiner
jetzigen Armuth nachforſchte. Das ſchien ſich
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[174/0184] eine Macaronipaſtete in ſeinem Laden, zwiſchen welche er kleine Bratwuͤrſtchen und Schinken hackte, welche unerlaubte Fragmente er ſpaßhaft Suͤnder nannte und, indem er ſeinem Gaſt vorlegte, eifrig ausſuchte und zuſchob. Hierbei blieb er aber nicht ſtehen, ſondern eines Tages, als er den armen jungen Heiden beſon¬ ders kirre gemacht, wickelte er eine fette Ganskeule nebſt einem Stuͤck Brot in ein Papier und ſuchte es ihm ſchmunzelnd in die Taſche zu ſtecken. Heinrich wehrte ſich ganz roth werdend heftig da¬ gegen; wie aber der Alte den Finger aufhob und leiſe ſagte: »Na, was iſt denn das? Es braucht's ja kein Menſch zu wiſſen!« da ergab er ſich de¬ muͤthig in den Willen des ſeltſamen Mannes, der ein unerklaͤrliches Vergnuͤgen zu empfinden ſchien, den ihm fremden Menſchen auf dieſe Weiſe gemuͤthlich zu tyranniſiren. Das Seltſamſte war, daß er ſich nicht um deſſen Herkunft und Schickſal bekuͤmmerte, nicht einmal fragte, wo er wohne, und am wenigſten den Gruͤnden ſeiner jetzigen Armuth nachforſchte. Das ſchien ſich Alles von ſelbſt zu verſtehen.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/184>, abgerufen am 28.11.2024.