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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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blickte unentschlossen in beide Kronen hinüber,
wie der Esel des Buridan zwischen den Heuscho¬
bern, und flog endlich mit seinem Thiere in die
eine der Kronen, so daß er wie eine Reiterstatue
plötzlich in einem Kranze ältlicher Mädchen stand,
welche anständig und gemessen um ihn herum
tanzten und sangen: "Wir sind diejenigen
heirathsfähigen Frauenzimmer, welche gerade
mannbar waren, als Du in die Fremde gereiset
bist, und welche seitdem alte Jungfern geworden!
kennst Du uns noch? Unten in der Kirche wird
getraut!"

"Teufel noch einmal," sagte Heinrich, "wie
die Zeit vergeht! Wer hätte das gedacht! Ich
will aber sehen, was das da drüben für welche
sind!"

Er flog in die andere Krone und sah sich
unter eine Schaar siebzehn- bis achtzehnjähriger
Jüngferchen versetzt, welche die Locken schüttelnd
muthwillig und doch zartverschämt um ihn tanzten,
ihn dabei mit offenen Rehaugen ansahen und
sangen: "Wir sind diejenigen heirathsfähigen

blickte unentſchloſſen in beide Kronen hinuͤber,
wie der Eſel des Buridan zwiſchen den Heuſcho¬
bern, und flog endlich mit ſeinem Thiere in die
eine der Kronen, ſo daß er wie eine Reiterſtatue
ploͤtzlich in einem Kranze aͤltlicher Maͤdchen ſtand,
welche anſtaͤndig und gemeſſen um ihn herum
tanzten und ſangen: »Wir ſind diejenigen
heirathsfaͤhigen Frauenzimmer, welche gerade
mannbar waren, als Du in die Fremde gereiſet
biſt, und welche ſeitdem alte Jungfern geworden!
kennſt Du uns noch? Unten in der Kirche wird
getraut!«

»Teufel noch einmal,« ſagte Heinrich, »wie
die Zeit vergeht! Wer haͤtte das gedacht! Ich
will aber ſehen, was das da druͤben fuͤr welche
ſind!«

Er flog in die andere Krone und ſah ſich
unter eine Schaar ſiebzehn- bis achtzehnjaͤhriger
Juͤngferchen verſetzt, welche die Locken ſchuͤttelnd
muthwillig und doch zartverſchaͤmt um ihn tanzten,
ihn dabei mit offenen Rehaugen anſahen und
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[255/0265] blickte unentſchloſſen in beide Kronen hinuͤber, wie der Eſel des Buridan zwiſchen den Heuſcho¬ bern, und flog endlich mit ſeinem Thiere in die eine der Kronen, ſo daß er wie eine Reiterſtatue ploͤtzlich in einem Kranze aͤltlicher Maͤdchen ſtand, welche anſtaͤndig und gemeſſen um ihn herum tanzten und ſangen: »Wir ſind diejenigen heirathsfaͤhigen Frauenzimmer, welche gerade mannbar waren, als Du in die Fremde gereiſet biſt, und welche ſeitdem alte Jungfern geworden! kennſt Du uns noch? Unten in der Kirche wird getraut!« »Teufel noch einmal,« ſagte Heinrich, »wie die Zeit vergeht! Wer haͤtte das gedacht! Ich will aber ſehen, was das da druͤben fuͤr welche ſind!« Er flog in die andere Krone und ſah ſich unter eine Schaar ſiebzehn- bis achtzehnjaͤhriger Juͤngferchen verſetzt, welche die Locken ſchuͤttelnd muthwillig und doch zartverſchaͤmt um ihn tanzten, ihn dabei mit offenen Rehaugen anſahen und ſangen: »Wir ſind diejenigen heirathsfaͤhigen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/265>, abgerufen am 21.11.2024.