Augenblick und die liebliche Jungfrau sagte in¬ zwischen zu dem unholden Kirchendiener: "Was giebt es hier mit diesem Manne?"
"Ei, gnädiges Fräulein!" erwiederte der Kü¬ ster, "weiß Gott, was dies für ein Heide mag sein! Er will durchaus in der Kirche oder auf dem Kirchhof einschlafen; das kann doch nicht geschehen, und wenn er ein armer Landfahrer ist, so schläft er gewiß besser im Dorf in irgend einer Scheune!"
Die junge Dame sah den Heinrich an und sagte freundlich: "Warum wollen Sie durchaus hier schlafen? Lieben sie die Todten so sehr?"
"Ach, mein Fräulein," sagte Heinrich, indem er ziemlich furchtsam aufblickte, "ich hielt sie für die eigentlichen Inhaber und Gastgeber der Erde, die keinen Müden abweisen; aber wie ich sehe, so sind sie von den Lebendigen auch in dieser Hin¬ sicht arg bevormundet und wird ihre Intention stets ausgelegt, wie es denen gefällt, die über ihren Köpfen dahin gehen!"
"Das sollen Sie nicht sagen," erwiederte lieb¬ lich lachend das Fräulein, "daß wir hier zu Lande
Augenblick und die liebliche Jungfrau ſagte in¬ zwiſchen zu dem unholden Kirchendiener: »Was giebt es hier mit dieſem Manne?«
»Ei, gnaͤdiges Fraͤulein!« erwiederte der Kuͤ¬ ſter, »weiß Gott, was dies fuͤr ein Heide mag ſein! Er will durchaus in der Kirche oder auf dem Kirchhof einſchlafen; das kann doch nicht geſchehen, und wenn er ein armer Landfahrer iſt, ſo ſchlaͤft er gewiß beſſer im Dorf in irgend einer Scheune!«
Die junge Dame ſah den Heinrich an und ſagte freundlich: »Warum wollen Sie durchaus hier ſchlafen? Lieben ſie die Todten ſo ſehr?«
»Ach, mein Fraͤulein,« ſagte Heinrich, indem er ziemlich furchtſam aufblickte, »ich hielt ſie fuͤr die eigentlichen Inhaber und Gaſtgeber der Erde, die keinen Muͤden abweiſen; aber wie ich ſehe, ſo ſind ſie von den Lebendigen auch in dieſer Hin¬ ſicht arg bevormundet und wird ihre Intention ſtets ausgelegt, wie es denen gefaͤllt, die uͤber ihren Koͤpfen dahin gehen!«
»Das ſollen Sie nicht ſagen,« erwiederte lieb¬ lich lachend das Fraͤulein, »daß wir hier zu Lande
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[301/0311]
Augenblick und die liebliche Jungfrau ſagte in¬
zwiſchen zu dem unholden Kirchendiener: »Was
giebt es hier mit dieſem Manne?«
»Ei, gnaͤdiges Fraͤulein!« erwiederte der Kuͤ¬
ſter, »weiß Gott, was dies fuͤr ein Heide mag
ſein! Er will durchaus in der Kirche oder auf
dem Kirchhof einſchlafen; das kann doch nicht
geſchehen, und wenn er ein armer Landfahrer iſt,
ſo ſchlaͤft er gewiß beſſer im Dorf in irgend einer
Scheune!«
Die junge Dame ſah den Heinrich an und
ſagte freundlich: »Warum wollen Sie durchaus
hier ſchlafen? Lieben ſie die Todten ſo ſehr?«
»Ach, mein Fraͤulein,« ſagte Heinrich, indem er
ziemlich furchtſam aufblickte, »ich hielt ſie fuͤr die
eigentlichen Inhaber und Gaſtgeber der Erde, die
keinen Muͤden abweiſen; aber wie ich ſehe, ſo
ſind ſie von den Lebendigen auch in dieſer Hin¬
ſicht arg bevormundet und wird ihre Intention
ſtets ausgelegt, wie es denen gefaͤllt, die uͤber
ihren Koͤpfen dahin gehen!«
»Das ſollen Sie nicht ſagen,« erwiederte lieb¬
lich lachend das Fraͤulein, »daß wir hier zu Lande
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/311>, abgerufen am 22.11.2024.
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