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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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stelltesten und wunderbarsten Dinge darunter
denken!"

"Nein," sagte der Graf, "wir wollen sie
um Gotteswillen nicht zu einer verwunschenen
Prinzessin machen, die Sache ist sehr einfach und
klar. Vor zwanzig Jahren, als meine Frau eben
gestorben, trieb ich mich sehr ungeberdig und
schmerzlich im Lande herum und kam an die
Donau. Eines Abends, als eben die Sonne un¬
terging, fand ich in ihrem Scheine ein zweijäh¬
riges Kind mutterseelen allein im Felde auf
einem hölzernen Bänkchen sitzen, das unter einem
Aepfelbaume war. Die Schönheit des Kindes
rührte mich und ich blieb stehen, da es zugleich
verlangend die Aermchen nach mir ausstreckte
und durch reichliche Thränen lächelte, so froh
schien es, einen Menschen zu sehen. Ich schaute
lange aus, ob niemand Angehöriger in der
Nähe sei, und da ich Niemand entdeckte im wei¬
ten Felde, setzte ich mich auf das Bänkchen und
nahm das Kind auf den Schooß, das auch al¬
sogleich einschlief. Da nach Verlauf einer hal¬
ben Stunde sich Niemand zeigte, nahm ich es

ſtellteſten und wunderbarſten Dinge darunter
denken!«

»Nein,« ſagte der Graf, »wir wollen ſie
um Gotteswillen nicht zu einer verwunſchenen
Prinzeſſin machen, die Sache iſt ſehr einfach und
klar. Vor zwanzig Jahren, als meine Frau eben
geſtorben, trieb ich mich ſehr ungeberdig und
ſchmerzlich im Lande herum und kam an die
Donau. Eines Abends, als eben die Sonne un¬
terging, fand ich in ihrem Scheine ein zweijaͤh¬
riges Kind mutterſeelen allein im Felde auf
einem hoͤlzernen Baͤnkchen ſitzen, das unter einem
Aepfelbaume war. Die Schoͤnheit des Kindes
ruͤhrte mich und ich blieb ſtehen, da es zugleich
verlangend die Aermchen nach mir ausſtreckte
und durch reichliche Thraͤnen laͤchelte, ſo froh
ſchien es, einen Menſchen zu ſehen. Ich ſchaute
lange aus, ob niemand Angehoͤriger in der
Naͤhe ſei, und da ich Niemand entdeckte im wei¬
ten Felde, ſetzte ich mich auf das Baͤnkchen und
nahm das Kind auf den Schooß, das auch al¬
ſogleich einſchlief. Da nach Verlauf einer hal¬
ben Stunde ſich Niemand zeigte, nahm ich es

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[350/0360] ſtellteſten und wunderbarſten Dinge darunter denken!« »Nein,« ſagte der Graf, »wir wollen ſie um Gotteswillen nicht zu einer verwunſchenen Prinzeſſin machen, die Sache iſt ſehr einfach und klar. Vor zwanzig Jahren, als meine Frau eben geſtorben, trieb ich mich ſehr ungeberdig und ſchmerzlich im Lande herum und kam an die Donau. Eines Abends, als eben die Sonne un¬ terging, fand ich in ihrem Scheine ein zweijaͤh¬ riges Kind mutterſeelen allein im Felde auf einem hoͤlzernen Baͤnkchen ſitzen, das unter einem Aepfelbaume war. Die Schoͤnheit des Kindes ruͤhrte mich und ich blieb ſtehen, da es zugleich verlangend die Aermchen nach mir ausſtreckte und durch reichliche Thraͤnen laͤchelte, ſo froh ſchien es, einen Menſchen zu ſehen. Ich ſchaute lange aus, ob niemand Angehoͤriger in der Naͤhe ſei, und da ich Niemand entdeckte im wei¬ ten Felde, ſetzte ich mich auf das Baͤnkchen und nahm das Kind auf den Schooß, das auch al¬ ſogleich einſchlief. Da nach Verlauf einer hal¬ ben Stunde ſich Niemand zeigte, nahm ich es

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/360>, abgerufen am 23.11.2024.