stände von dieser so einfachen und natürlichen Absicht ablenken lassen solle. Es schwebte ihm vor, wie wenn der Vorschlag des Grafen, seine Freundschaft, die Schönheit Dorothea's, das gast¬ liche Haus und das feine Leben darin, alles dies eine künstliche, glänzende und lockende Welt wäre, welche ihn von dem harten und schmalen Wege seines guten Instinktes wegziehen und in die Irre führen möchte. Obgleich er über diese un¬ sinnige oder unklare Ahnung sogleich lachen mußte, dachte er doch, es wäre für einmal besser, wenn er seiner Absicht treu bliebe und unverzüglich nach Hause reise, um da auf heimathlichem Bo¬ den, aus sich selbst heraus und ohne alle An¬ sprüche zu sehen, was er treibe. Er beschloß desnahen, am anderen Tage unverbrüchlich je¬ nen Weg einzuschlagen, anstatt mit dem Grafen zu gehen, und schlief mit diesem Vorsatze ein, aber nicht ohne alsobald wieder aufzuwachen und nichts Anderes vor sich zu sehen in der Dunkelheit, als das Bild Dorothea's, welches freundlich aber unbarmherzig allen Schlaf verscheuchte. Hier¬ über wunderte er sich sehr und fragte sich bedenk¬
ſtaͤnde von dieſer ſo einfachen und natuͤrlichen Abſicht ablenken laſſen ſolle. Es ſchwebte ihm vor, wie wenn der Vorſchlag des Grafen, ſeine Freundſchaft, die Schoͤnheit Dorothea's, das gaſt¬ liche Haus und das feine Leben darin, alles dies eine kuͤnſtliche, glaͤnzende und lockende Welt waͤre, welche ihn von dem harten und ſchmalen Wege ſeines guten Inſtinktes wegziehen und in die Irre fuͤhren moͤchte. Obgleich er uͤber dieſe un¬ ſinnige oder unklare Ahnung ſogleich lachen mußte, dachte er doch, es waͤre fuͤr einmal beſſer, wenn er ſeiner Abſicht treu bliebe und unverzuͤglich nach Hauſe reiſe, um da auf heimathlichem Bo¬ den, aus ſich ſelbſt heraus und ohne alle An¬ ſpruͤche zu ſehen, was er treibe. Er beſchloß desnahen, am anderen Tage unverbruͤchlich je¬ nen Weg einzuſchlagen, anſtatt mit dem Grafen zu gehen, und ſchlief mit dieſem Vorſatze ein, aber nicht ohne alſobald wieder aufzuwachen und nichts Anderes vor ſich zu ſehen in der Dunkelheit, als das Bild Dorothea's, welches freundlich aber unbarmherzig allen Schlaf verſcheuchte. Hier¬ uͤber wunderte er ſich ſehr und fragte ſich bedenk¬
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ſtaͤnde von dieſer ſo einfachen und natuͤrlichen
Abſicht ablenken laſſen ſolle. Es ſchwebte ihm
vor, wie wenn der Vorſchlag des Grafen, ſeine
Freundſchaft, die Schoͤnheit Dorothea's, das gaſt¬
liche Haus und das feine Leben darin, alles dies
eine kuͤnſtliche, glaͤnzende und lockende Welt waͤre,
welche ihn von dem harten und ſchmalen Wege
ſeines guten Inſtinktes wegziehen und in die
Irre fuͤhren moͤchte. Obgleich er uͤber dieſe un¬
ſinnige oder unklare Ahnung ſogleich lachen mußte,
dachte er doch, es waͤre fuͤr einmal beſſer, wenn
er ſeiner Abſicht treu bliebe und unverzuͤglich
nach Hauſe reiſe, um da auf heimathlichem Bo¬
den, aus ſich ſelbſt heraus und ohne alle An¬
ſpruͤche zu ſehen, was er treibe. Er beſchloß
desnahen, am anderen Tage unverbruͤchlich je¬
nen Weg einzuſchlagen, anſtatt mit dem Grafen
zu gehen, und ſchlief mit dieſem Vorſatze ein, aber
nicht ohne alſobald wieder aufzuwachen und nichts
Anderes vor ſich zu ſehen in der Dunkelheit, als
das Bild Dorothea's, welches freundlich aber
unbarmherzig allen Schlaf verſcheuchte. Hier¬
uͤber wunderte er ſich ſehr und fragte ſich bedenk¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/374>, abgerufen am 24.11.2024.
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