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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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werde, sondern es verbarg sich in jener Beschei¬
denheit auch die Anmaßung, schließlich in dem
Einen Fache so glänzen zu wollen, daß alle an¬
dere Kenntniß entbehrlich erschiene. Nicht sowohl
in der Erkenntniß dieses Irrthums, als mehr um
sich irgend Luft zu verschaffen, spitzte er rasch
eine schlanke Reißkohle scharf zu, stemmte einen
Blendrahmen, mit frischem Papier bezogen, gegen
die Knie und begann aufmerksam und aufgeregt
den Fechter zu zeichnen. Obschon er nicht die
mindeste Kenntniß von dem besaß, was unter der
Haut wirkte und sich darstellte, und kaum eine
zufällige Ahnung vom Knochengerüste hatte, ging
es doch in der ersten Anspannung und Hitze ganz
gut vonstatten, und er freute sich sogar, die
Dinge zu nehmen, wie er sie unmittelbar sah,
und mit natürlichem Scharfblicke sich zurechtzu¬
finden.

Er zeichnete anhaltend mehrere Stunden und
brachte nicht eine elegante Studie, sondern eine
Arbeit zu Stande, welche ihn unvermutheter
Weise wenigstens nicht abschreckte. Aber je län¬
ger er zeichnete, desto wunderlicher erging es ihm;

werde, ſondern es verbarg ſich in jener Beſchei¬
denheit auch die Anmaßung, ſchließlich in dem
Einen Fache ſo glaͤnzen zu wollen, daß alle an¬
dere Kenntniß entbehrlich erſchiene. Nicht ſowohl
in der Erkenntniß dieſes Irrthums, als mehr um
ſich irgend Luft zu verſchaffen, ſpitzte er raſch
eine ſchlanke Reißkohle ſcharf zu, ſtemmte einen
Blendrahmen, mit friſchem Papier bezogen, gegen
die Knie und begann aufmerkſam und aufgeregt
den Fechter zu zeichnen. Obſchon er nicht die
mindeſte Kenntniß von dem beſaß, was unter der
Haut wirkte und ſich darſtellte, und kaum eine
zufaͤllige Ahnung vom Knochengeruͤſte hatte, ging
es doch in der erſten Anſpannung und Hitze ganz
gut vonſtatten, und er freute ſich ſogar, die
Dinge zu nehmen, wie er ſie unmittelbar ſah,
und mit natuͤrlichem Scharfblicke ſich zurechtzu¬
finden.

Er zeichnete anhaltend mehrere Stunden und
brachte nicht eine elegante Studie, ſondern eine
Arbeit zu Stande, welche ihn unvermutheter
Weiſe wenigſtens nicht abſchreckte. Aber je laͤn¬
ger er zeichnete, deſto wunderlicher erging es ihm;

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[36/0046] werde, ſondern es verbarg ſich in jener Beſchei¬ denheit auch die Anmaßung, ſchließlich in dem Einen Fache ſo glaͤnzen zu wollen, daß alle an¬ dere Kenntniß entbehrlich erſchiene. Nicht ſowohl in der Erkenntniß dieſes Irrthums, als mehr um ſich irgend Luft zu verſchaffen, ſpitzte er raſch eine ſchlanke Reißkohle ſcharf zu, ſtemmte einen Blendrahmen, mit friſchem Papier bezogen, gegen die Knie und begann aufmerkſam und aufgeregt den Fechter zu zeichnen. Obſchon er nicht die mindeſte Kenntniß von dem beſaß, was unter der Haut wirkte und ſich darſtellte, und kaum eine zufaͤllige Ahnung vom Knochengeruͤſte hatte, ging es doch in der erſten Anſpannung und Hitze ganz gut vonſtatten, und er freute ſich ſogar, die Dinge zu nehmen, wie er ſie unmittelbar ſah, und mit natuͤrlichem Scharfblicke ſich zurechtzu¬ finden. Er zeichnete anhaltend mehrere Stunden und brachte nicht eine elegante Studie, ſondern eine Arbeit zu Stande, welche ihn unvermutheter Weiſe wenigſtens nicht abſchreckte. Aber je laͤn¬ ger er zeichnete, deſto wunderlicher erging es ihm;

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/46>, abgerufen am 21.11.2024.