Als das enge Gemach sich mit dem Morgen¬ grauen ein wenig erhellte, sah er den alten be¬ kannten Hausrath, der einst die bequemeren Räume erfüllt, unordentlich und ängstlich zusam¬ mengehäuft; er wagte nicht, einen Schrank zu öffnen, und that endlich nur einen altmodischen Koffer auf, der da zunächst stand. Er enthielt die alten Trachten von den Vorfahrinnen seiner Mutter, wie sie die Frauen gern aufzube¬ wahren pflegen. Großblumige oder gestreifte sei¬ dene Röcke und Jäckchen, rothe Schuhe mit hohen Absätzen, silbergewirkte Bänder, Häubchen, mäch¬ tige weiße Halstücher mit reichen Stickereien, Fächer bemalt mit Schäferspielen, Fischern und Vogelstellern und eine Menge zerquetschter künst¬ licher Blumen, alles das lag vergilbt und zer¬ knittert durcheinander und war doch mit einer gewissen unverwüstlichen Frische anzufühlen, da die weibliche Schonung und Sparsamkeit in der Aufregung diese Festkleider und Putzsachen wohl erhalten und so alt werden ließ. In früheren Jahren, da sie noch eine jüngere Wittwe war, hatte sich die Mutter alle Jahr einmal das bescheidene
Als das enge Gemach ſich mit dem Morgen¬ grauen ein wenig erhellte, ſah er den alten be¬ kannten Hausrath, der einſt die bequemeren Raͤume erfuͤllt, unordentlich und aͤngſtlich zuſam¬ mengehaͤuft; er wagte nicht, einen Schrank zu oͤffnen, und that endlich nur einen altmodiſchen Koffer auf, der da zunaͤchſt ſtand. Er enthielt die alten Trachten von den Vorfahrinnen ſeiner Mutter, wie ſie die Frauen gern aufzube¬ wahren pflegen. Großblumige oder geſtreifte ſei¬ dene Roͤcke und Jaͤckchen, rothe Schuhe mit hohen Abſaͤtzen, ſilbergewirkte Baͤnder, Haͤubchen, maͤch¬ tige weiße Halstuͤcher mit reichen Stickereien, Faͤcher bemalt mit Schaͤferſpielen, Fiſchern und Vogelſtellern und eine Menge zerquetſchter kuͤnſt¬ licher Blumen, alles das lag vergilbt und zer¬ knittert durcheinander und war doch mit einer gewiſſen unverwuͤſtlichen Friſche anzufuͤhlen, da die weibliche Schonung und Sparſamkeit in der Aufregung dieſe Feſtkleider und Putzſachen wohl erhalten und ſo alt werden ließ. In fruͤheren Jahren, da ſie noch eine juͤngere Wittwe war, hatte ſich die Mutter alle Jahr einmal das beſcheidene
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Als das enge Gemach ſich mit dem Morgen¬
grauen ein wenig erhellte, ſah er den alten be¬
kannten Hausrath, der einſt die bequemeren
Raͤume erfuͤllt, unordentlich und aͤngſtlich zuſam¬
mengehaͤuft; er wagte nicht, einen Schrank zu
oͤffnen, und that endlich nur einen altmodiſchen
Koffer auf, der da zunaͤchſt ſtand. Er enthielt
die alten Trachten von den Vorfahrinnen ſeiner
Mutter, wie ſie die Frauen gern aufzube¬
wahren pflegen. Großblumige oder geſtreifte ſei¬
dene Roͤcke und Jaͤckchen, rothe Schuhe mit hohen
Abſaͤtzen, ſilbergewirkte Baͤnder, Haͤubchen, maͤch¬
tige weiße Halstuͤcher mit reichen Stickereien,
Faͤcher bemalt mit Schaͤferſpielen, Fiſchern und
Vogelſtellern und eine Menge zerquetſchter kuͤnſt¬
licher Blumen, alles das lag vergilbt und zer¬
knittert durcheinander und war doch mit einer
gewiſſen unverwuͤſtlichen Friſche anzufuͤhlen, da
die weibliche Schonung und Sparſamkeit in der
Aufregung dieſe Feſtkleider und Putzſachen wohl
erhalten und ſo alt werden ließ. In fruͤheren
Jahren, da ſie noch eine juͤngere Wittwe war, hatte
ſich die Mutter alle Jahr einmal das beſcheidene
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/486>, abgerufen am 04.12.2024.
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