ter den Dingen liegt. Er merkte auch bald, daß es sich um nichts Geringeres, als um seinen Glauben an Gott und Unsterblichkeit handle; aber indem er denselben für lange geborgen und es nicht für nöthig hielt, auf seine Rettung be¬ dacht zu sein, war er um so freisinniger beflissen, Alles aufzufassen und zu begreifen, was die innere Nothwendigkeit, Identität und Selbständigkeit der natürlichen Dinge bewies; denn eine wahrhaft wahre und freie Natur steht nicht an, sondern sie sucht es geflissentlich, Zugeständnisse zu machen, wo sie nur immer kann, gleich jenem idealen Kö¬ nige, der noch nie dagewesen ist, und von welchem man träumt, daß er nicht aus Klugheit, sondern um ihrer selbst willen und rein zu seinem Ver¬ gnügen Concessionen mache. Rechthaberei und Noth sind die Mütter der Lüge; aber die Noth¬ lüge ist ein unschuldiges Engelskind gegenüber der Lüge aus Rechthaberei, welche Eines ist mit Hochmuth, Eitelkeit, Engherzigkeit und nackter Selbstsucht und nie ein Zugeständniß macht, eben um keines zu machen. So entstand aus der Lüge die Rechtgläubigkeit auf Erden und aus der
ter den Dingen liegt. Er merkte auch bald, daß es ſich um nichts Geringeres, als um ſeinen Glauben an Gott und Unſterblichkeit handle; aber indem er denſelben fuͤr lange geborgen und es nicht fuͤr noͤthig hielt, auf ſeine Rettung be¬ dacht zu ſein, war er um ſo freiſinniger befliſſen, Alles aufzufaſſen und zu begreifen, was die innere Nothwendigkeit, Identitaͤt und Selbſtaͤndigkeit der natuͤrlichen Dinge bewies; denn eine wahrhaft wahre und freie Natur ſteht nicht an, ſondern ſie ſucht es gefliſſentlich, Zugeſtaͤndniſſe zu machen, wo ſie nur immer kann, gleich jenem idealen Koͤ¬ nige, der noch nie dageweſen iſt, und von welchem man traͤumt, daß er nicht aus Klugheit, ſondern um ihrer ſelbſt willen und rein zu ſeinem Ver¬ gnuͤgen Conceſſionen mache. Rechthaberei und Noth ſind die Muͤtter der Luͤge; aber die Noth¬ luͤge iſt ein unſchuldiges Engelskind gegenuͤber der Luͤge aus Rechthaberei, welche Eines iſt mit Hochmuth, Eitelkeit, Engherzigkeit und nackter Selbſtſucht und nie ein Zugeſtaͤndniß macht, eben um keines zu machen. So entſtand aus der Luͤge die Rechtglaͤubigkeit auf Erden und aus der
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ter den Dingen liegt. Er merkte auch bald, daß
es ſich um nichts Geringeres, als um ſeinen
Glauben an Gott und Unſterblichkeit handle;
aber indem er denſelben fuͤr lange geborgen und
es nicht fuͤr noͤthig hielt, auf ſeine Rettung be¬
dacht zu ſein, war er um ſo freiſinniger befliſſen,
Alles aufzufaſſen und zu begreifen, was die innere
Nothwendigkeit, Identitaͤt und Selbſtaͤndigkeit der
natuͤrlichen Dinge bewies; denn eine wahrhaft
wahre und freie Natur ſteht nicht an, ſondern ſie
ſucht es gefliſſentlich, Zugeſtaͤndniſſe zu machen,
wo ſie nur immer kann, gleich jenem idealen Koͤ¬
nige, der noch nie dageweſen iſt, und von welchem
man traͤumt, daß er nicht aus Klugheit, ſondern
um ihrer ſelbſt willen und rein zu ſeinem Ver¬
gnuͤgen Conceſſionen mache. Rechthaberei und
Noth ſind die Muͤtter der Luͤge; aber die Noth¬
luͤge iſt ein unſchuldiges Engelskind gegenuͤber
der Luͤge aus Rechthaberei, welche Eines iſt mit
Hochmuth, Eitelkeit, Engherzigkeit und nackter
Selbſtſucht und nie ein Zugeſtaͤndniß macht, eben
um keines zu machen. So entſtand aus der Luͤge
die Rechtglaͤubigkeit auf Erden und aus der
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/67>, abgerufen am 24.11.2024.
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