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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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ihnen in schlauem spaßhaftem Geplauder manche neue
Kunde und Notiz in dieser Sache; nie aber ließ er
sich dergleichen selbst ablauschen von den Wildfängen.

Jenes Verzeichniß trug er zusammengerollt in
einem silbernen Büchschen in seiner Kaputze und nahm
es unzählige Male hervor, um einen neuentdeckten,
leichtfertigen Namen hinzuzufügen oder die bereits
vorhandenen zu überblicken, zu zählen und zu berechnen,
welche der Inhaberinnen zunächst an die Reihe kommen
würde.

Zu dieser ging er dann in Eile und halb verschämt
und sagte hastig: "Gewähre mir die zweite Nacht von
heute und sage keinem Andern zu!" Wenn er zur
bestimmten Zeit in das Haus trat, ließ er die Schöne
stehen und machte sich in die hinterste Ecke der Kammer,
fiel dort auf die Kniee und betete mit Inbrunst und
lauten Worten die ganze Nacht für die Besitzerin des
Hauses. Mit der Morgenfrühe verließ er sie und
untersagte ihr streng, zu verrathen, was er bei ihr
gemacht habe.

So trieb er es eine gute Zeit und brachte sich in
den allerschlechtesten Ruf. Denn während er im Ge¬
heimen, in den verschlossenen Kammern der Buhlerinnen
durch seine heißen Donnerworte und durch inbrünstiges
süßes Gebetlispeln manche Verlorene erschütterte und
rührte, daß sie in sich ging und einen frommen

ihnen in ſchlauem ſpaßhaftem Geplauder manche neue
Kunde und Notiz in dieſer Sache; nie aber ließ er
ſich dergleichen ſelbſt ablauſchen von den Wildfängen.

Jenes Verzeichniß trug er zuſammengerollt in
einem ſilbernen Büchſchen in ſeiner Kaputze und nahm
es unzählige Male hervor, um einen neuentdeckten,
leichtfertigen Namen hinzuzufügen oder die bereits
vorhandenen zu überblicken, zu zählen und zu berechnen,
welche der Inhaberinnen zunächſt an die Reihe kommen
würde.

Zu dieſer ging er dann in Eile und halb verſchämt
und ſagte haſtig: „Gewähre mir die zweite Nacht von
heute und ſage keinem Andern zu!“ Wenn er zur
beſtimmten Zeit in das Haus trat, ließ er die Schöne
ſtehen und machte ſich in die hinterſte Ecke der Kammer,
fiel dort auf die Kniee und betete mit Inbrunſt und
lauten Worten die ganze Nacht für die Beſitzerin des
Hauſes. Mit der Morgenfrühe verließ er ſie und
unterſagte ihr ſtreng, zu verrathen, was er bei ihr
gemacht habe.

So trieb er es eine gute Zeit und brachte ſich in
den allerſchlechteſten Ruf. Denn während er im Ge¬
heimen, in den verſchloſſenen Kammern der Buhlerinnen
durch ſeine heißen Donnerworte und durch inbrünſtiges
ſüßes Gebetlispeln manche Verlorene erſchütterte und
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[86/0100] ihnen in ſchlauem ſpaßhaftem Geplauder manche neue Kunde und Notiz in dieſer Sache; nie aber ließ er ſich dergleichen ſelbſt ablauſchen von den Wildfängen. Jenes Verzeichniß trug er zuſammengerollt in einem ſilbernen Büchſchen in ſeiner Kaputze und nahm es unzählige Male hervor, um einen neuentdeckten, leichtfertigen Namen hinzuzufügen oder die bereits vorhandenen zu überblicken, zu zählen und zu berechnen, welche der Inhaberinnen zunächſt an die Reihe kommen würde. Zu dieſer ging er dann in Eile und halb verſchämt und ſagte haſtig: „Gewähre mir die zweite Nacht von heute und ſage keinem Andern zu!“ Wenn er zur beſtimmten Zeit in das Haus trat, ließ er die Schöne ſtehen und machte ſich in die hinterſte Ecke der Kammer, fiel dort auf die Kniee und betete mit Inbrunſt und lauten Worten die ganze Nacht für die Beſitzerin des Hauſes. Mit der Morgenfrühe verließ er ſie und unterſagte ihr ſtreng, zu verrathen, was er bei ihr gemacht habe. So trieb er es eine gute Zeit und brachte ſich in den allerſchlechteſten Ruf. Denn während er im Ge¬ heimen, in den verſchloſſenen Kammern der Buhlerinnen durch ſeine heißen Donnerworte und durch inbrünſtiges ſüßes Gebetlispeln manche Verlorene erſchütterte und rührte, daß ſie in ſich ging und einen frommen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/100>, abgerufen am 28.11.2024.