Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.Abendsonne vergoldete Staubwolke, welche den Zug Aber nicht lange war er reglos so gelegen, als Abendſonne vergoldete Staubwolke, welche den Zug Aber nicht lange war er reglos ſo gelegen, als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0147" n="133"/> Abendſonne vergoldete Staubwolke, welche den Zug<lb/> begleitete, in der Ferne verſchwand und die Straße<lb/> leer und ſtille war. Dann ging er mit verhülltem<lb/> Haupte nach ſeinem Hauſe und beſtieg wankenden<lb/> Schrittes deſſen Zinne, von wo aus man nach dem<lb/> Argeusgebirge hinſchauen konnte, auf deſſen Vor¬<lb/> hügeln einem der Richtplatz gelegen war. Er konnte<lb/> gar wohl ein dunkles Menſchengewimmel dort erkennen<lb/> und breitete ſehnſüchtig ſeine Arme nach jener Gegend<lb/> aus. Da glaubte er im Glanze der ſcheidenden<lb/> Sonne das fallende Beil aufblitzen zu ſehen und ſtürzte<lb/> zuſammen, mit dem Geſichte auf den Boden hingeſtreckt.<lb/> Und in der That war Dorothea's Haupt um dieſe<lb/> Zeit gefallen.</p><lb/> <p>Aber nicht lange war er reglos ſo gelegen, als<lb/> ein heller Glanz die Dämmerung erleuchtete und blen¬<lb/> dend unter Theophils Hände drang, auf denen ſein<lb/> Geſicht lag, und in ſeine verſchloſſenen Augen ſich er¬<lb/> goß, wie ein flüſſiges Gold. Gleichzeitig erfüllte ein<lb/> feiner Wohlgeruch die Luft. Wie von einem ungekann¬<lb/> ten neuen Leben erfüllt, richtete der junge Mann ſich<lb/> auf; ein wunderſchöner Knabe ſtand vor ihm, mit<lb/> goldenen Ringelhaaren, in ein ſternenbeſäetes Gewand<lb/> gekleidet und mit leuchtenden nackten Füßen, der in<lb/> den ebenſo leuchtenden Händen ein Körbchen trug.<lb/> Das Körbchen war gefüllt mit den ſchönſten Roſen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [133/0147]
Abendſonne vergoldete Staubwolke, welche den Zug
begleitete, in der Ferne verſchwand und die Straße
leer und ſtille war. Dann ging er mit verhülltem
Haupte nach ſeinem Hauſe und beſtieg wankenden
Schrittes deſſen Zinne, von wo aus man nach dem
Argeusgebirge hinſchauen konnte, auf deſſen Vor¬
hügeln einem der Richtplatz gelegen war. Er konnte
gar wohl ein dunkles Menſchengewimmel dort erkennen
und breitete ſehnſüchtig ſeine Arme nach jener Gegend
aus. Da glaubte er im Glanze der ſcheidenden
Sonne das fallende Beil aufblitzen zu ſehen und ſtürzte
zuſammen, mit dem Geſichte auf den Boden hingeſtreckt.
Und in der That war Dorothea's Haupt um dieſe
Zeit gefallen.
Aber nicht lange war er reglos ſo gelegen, als
ein heller Glanz die Dämmerung erleuchtete und blen¬
dend unter Theophils Hände drang, auf denen ſein
Geſicht lag, und in ſeine verſchloſſenen Augen ſich er¬
goß, wie ein flüſſiges Gold. Gleichzeitig erfüllte ein
feiner Wohlgeruch die Luft. Wie von einem ungekann¬
ten neuen Leben erfüllt, richtete der junge Mann ſich
auf; ein wunderſchöner Knabe ſtand vor ihm, mit
goldenen Ringelhaaren, in ein ſternenbeſäetes Gewand
gekleidet und mit leuchtenden nackten Füßen, der in
den ebenſo leuchtenden Händen ein Körbchen trug.
Das Körbchen war gefüllt mit den ſchönſten Roſen,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |