Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.Der Elende wollte sein Weib noch täuschen und Er näherte sich ganz manierlich, obgleich er einen Der Elende wollte ſein Weib noch täuſchen und Er näherte ſich ganz manierlich, obgleich er einen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0052" n="38"/> <p>Der Elende wollte ſein Weib noch täuſchen und<lb/> je näher ſie dem Ziele kamen, mit um ſo größerer<lb/> Freundlichkeit einſchläfern und zerſtreuen; und er<lb/> redete deshalb über dieſes und jenes mit ihr und die<lb/> Jungfrau gab ihm trauliche Antwort in ſüßem Ge¬<lb/> plauder, ſich ſtellend, als ob ſie alle Bangigkeit ver¬<lb/> löre. So erreichten ſie die dunkle Wildniß an dem<lb/> See, über welchem falbe Abendwolken hingen; die<lb/> alten Tannen blühten mit Purpurknoſpen wie es nur<lb/> in den üppigſten Frühlingen geſchieht; im Dickicht<lb/> ſchlug eine geſpenſtige Nachtigall ſo ſtark wie mit<lb/> Orgelpfeifen und Cymbeln, und aus den Tannen<lb/> ritt der bewußte Mann hervor auf einem ſchwarzen<lb/> Hengſt, in reicher ritterlicher Tracht, ein langes<lb/> Schwert zur Seite.</p><lb/> <p>Er näherte ſich ganz manierlich, obgleich er einen<lb/> ſo grimmigen Blick ſchnell auf Gebizo ſchoß, daß die¬<lb/> ſem die Haut ſchauderte; ſonſt ſchienen nicht einmal<lb/> die Pferde Unheil zu wittern, denn ſie blieben ruhig.<lb/> Gebizo warf dem Fremden zitternd die Zügel ſeiner<lb/> Frau zu und ſprengte ohne ſie von dannen und ohne<lb/> ſich nach ihr umzuſehen. Der Fremde aber ergriff<lb/> die Zügel mit haſtiger Fauſt und fort ging es wie<lb/> ein Sturmwind durch die Tannen, daß Schleier und<lb/> Gewand der ſchönen Ritterfrau flogen und flatterten,<lb/> über Berg und Thal und über die fließenden Waſſer,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [38/0052]
Der Elende wollte ſein Weib noch täuſchen und
je näher ſie dem Ziele kamen, mit um ſo größerer
Freundlichkeit einſchläfern und zerſtreuen; und er
redete deshalb über dieſes und jenes mit ihr und die
Jungfrau gab ihm trauliche Antwort in ſüßem Ge¬
plauder, ſich ſtellend, als ob ſie alle Bangigkeit ver¬
löre. So erreichten ſie die dunkle Wildniß an dem
See, über welchem falbe Abendwolken hingen; die
alten Tannen blühten mit Purpurknoſpen wie es nur
in den üppigſten Frühlingen geſchieht; im Dickicht
ſchlug eine geſpenſtige Nachtigall ſo ſtark wie mit
Orgelpfeifen und Cymbeln, und aus den Tannen
ritt der bewußte Mann hervor auf einem ſchwarzen
Hengſt, in reicher ritterlicher Tracht, ein langes
Schwert zur Seite.
Er näherte ſich ganz manierlich, obgleich er einen
ſo grimmigen Blick ſchnell auf Gebizo ſchoß, daß die¬
ſem die Haut ſchauderte; ſonſt ſchienen nicht einmal
die Pferde Unheil zu wittern, denn ſie blieben ruhig.
Gebizo warf dem Fremden zitternd die Zügel ſeiner
Frau zu und ſprengte ohne ſie von dannen und ohne
ſich nach ihr umzuſehen. Der Fremde aber ergriff
die Zügel mit haſtiger Fauſt und fort ging es wie
ein Sturmwind durch die Tannen, daß Schleier und
Gewand der ſchönen Ritterfrau flogen und flatterten,
über Berg und Thal und über die fließenden Waſſer,
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