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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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berner Stimme seine Gebete sang. Glücklicher
Weise hatte das Geschöpfchen noch nicht Feuer
gefangen und ich fand gerade noch Zeit, vom
Pferde zu springen und sie bei den zierlichen Fü߬
chen zu packen und vom Holzstoß zu ziehen. Sie
geberdete sich aber wie besessen und wollte durch¬
aus verbrannt sein mit ihrem alten Stänker, so
daß ich die größte Mühe hatte, sie zu bändigen
und zu beschwichtigen. Freilich gewannen diese
armen Wittwen nicht viel durch solche Rettung;
denn sie fielen nach denselben unter den Ihrigen
der äußersten Schande und Verlassenheit anheim,
ohne daß das Gouvernement etwas dafür that,
ihnen das gerettete Leben auch leicht zu machen.
Diese Kleine gelang es mir indessen zu versor¬
gen, indem ich ihr eine Aussteuer verschaffte und
an einen getauften Hindu verheirathete, der bei
uns diente, dem sie auch mit reiner Treue und
ganzem Blute anhing."

"Allein diese wunderlichen Vorfälle beschäf¬
tigten meine Gedanken und erweckten allmälig in
mir den Wunsch nach dem Genusse solcher un¬
bedingten Treue, und da ich für diese Phantasie
kein Weib zu meiner Verfügung hatte, verfiel

berner Stimme ſeine Gebete ſang. Glücklicher
Weiſe hatte das Geſchöpfchen noch nicht Feuer
gefangen und ich fand gerade noch Zeit, vom
Pferde zu ſpringen und ſie bei den zierlichen Fü߬
chen zu packen und vom Holzſtoß zu ziehen. Sie
geberdete ſich aber wie beſeſſen und wollte durch¬
aus verbrannt ſein mit ihrem alten Stänker, ſo
daß ich die größte Mühe hatte, ſie zu bändigen
und zu beſchwichtigen. Freilich gewannen dieſe
armen Wittwen nicht viel durch ſolche Rettung;
denn ſie fielen nach denſelben unter den Ihrigen
der äußerſten Schande und Verlaſſenheit anheim,
ohne daß das Gouvernement etwas dafür that,
ihnen das gerettete Leben auch leicht zu machen.
Dieſe Kleine gelang es mir indeſſen zu verſor¬
gen, indem ich ihr eine Ausſteuer verſchaffte und
an einen getauften Hindu verheirathete, der bei
uns diente, dem ſie auch mit reiner Treue und
ganzem Blute anhing.«

»Allein dieſe wunderlichen Vorfälle beſchäf¬
tigten meine Gedanken und erweckten allmälig in
mir den Wunſch nach dem Genuſſe ſolcher un¬
bedingten Treue, und da ich für dieſe Phantaſie
kein Weib zu meiner Verfügung hatte, verfiel

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[95/0107] berner Stimme ſeine Gebete ſang. Glücklicher Weiſe hatte das Geſchöpfchen noch nicht Feuer gefangen und ich fand gerade noch Zeit, vom Pferde zu ſpringen und ſie bei den zierlichen Fü߬ chen zu packen und vom Holzſtoß zu ziehen. Sie geberdete ſich aber wie beſeſſen und wollte durch¬ aus verbrannt ſein mit ihrem alten Stänker, ſo daß ich die größte Mühe hatte, ſie zu bändigen und zu beſchwichtigen. Freilich gewannen dieſe armen Wittwen nicht viel durch ſolche Rettung; denn ſie fielen nach denſelben unter den Ihrigen der äußerſten Schande und Verlaſſenheit anheim, ohne daß das Gouvernement etwas dafür that, ihnen das gerettete Leben auch leicht zu machen. Dieſe Kleine gelang es mir indeſſen zu verſor¬ gen, indem ich ihr eine Ausſteuer verſchaffte und an einen getauften Hindu verheirathete, der bei uns diente, dem ſie auch mit reiner Treue und ganzem Blute anhing.« »Allein dieſe wunderlichen Vorfälle beſchäf¬ tigten meine Gedanken und erweckten allmälig in mir den Wunſch nach dem Genuſſe ſolcher un¬ bedingten Treue, und da ich für dieſe Phantaſie kein Weib zu meiner Verfügung hatte, verfiel

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/107>, abgerufen am 23.11.2024.