richtig sei; tief erröthend machte er sich fort, und als er über die Straße eilte und das rau¬ schende Kleid ihm so ungewohnt gegen die Füße schlug, während der Nachtwächter ihm verdächtig nachsah, merkte er erst recht, daß das eine unge¬ eignete Tracht wäre für einen jungen Republi¬ kaner, in der man Niemandem in's Gesicht sehen dürfe. Als er aber zu Hause angekommen sich hastig umkleidete, fiel es ihm ein, daß nun die Mutter allein unter dem Volke auf dem Rath¬ hause sitze, und dieser Gedanke machte ihn plötz¬ lich und sonderbarer Weise so zornig und besorgt um ihre Ehre, daß er sich beeilte nur wieder hinzukommen und sie abzuholen. Auch glaubte er ihr einen rechten Ritterdienst damit zu erwei¬ sen, daß er so pünktlich wieder erschien, und alle etwaigen Unebenheiten dadurch auf's Schönste ausgeglichen. Frau Amrain aber empfahl sich der Gesellschaft und ging ernst und schweigsam neben ihrem Sohne nach Hause. Dort setzte sie sich seufzend auf ihren gewohnten Sessel und schwieg eine Weile; dann aber stand sie auf, ergriff das daliegende Staatskleid und zerriß es
richtig ſei; tief erröthend machte er ſich fort, und als er über die Straße eilte und das rau¬ ſchende Kleid ihm ſo ungewohnt gegen die Füße ſchlug, während der Nachtwächter ihm verdächtig nachſah, merkte er erſt recht, daß das eine unge¬ eignete Tracht wäre für einen jungen Republi¬ kaner, in der man Niemandem in's Geſicht ſehen dürfe. Als er aber zu Hauſe angekommen ſich haſtig umkleidete, fiel es ihm ein, daß nun die Mutter allein unter dem Volke auf dem Rath¬ hauſe ſitze, und dieſer Gedanke machte ihn plötz¬ lich und ſonderbarer Weiſe ſo zornig und beſorgt um ihre Ehre, daß er ſich beeilte nur wieder hinzukommen und ſie abzuholen. Auch glaubte er ihr einen rechten Ritterdienſt damit zu erwei¬ ſen, daß er ſo pünktlich wieder erſchien, und alle etwaigen Unebenheiten dadurch auf's Schönſte ausgeglichen. Frau Amrain aber empfahl ſich der Geſellſchaft und ging ernſt und ſchweigſam neben ihrem Sohne nach Hauſe. Dort ſetzte ſie ſich ſeufzend auf ihren gewohnten Seſſel und ſchwieg eine Weile; dann aber ſtand ſie auf, ergriff das daliegende Staatskleid und zerriß es
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0162"n="150"/>
richtig ſei; tief erröthend machte er ſich fort,<lb/>
und als er über die Straße eilte und das rau¬<lb/>ſchende Kleid ihm ſo ungewohnt gegen die Füße<lb/>ſchlug, während der Nachtwächter ihm verdächtig<lb/>
nachſah, merkte er erſt recht, daß das eine unge¬<lb/>
eignete Tracht wäre für einen jungen Republi¬<lb/>
kaner, in der man Niemandem in's Geſicht ſehen<lb/>
dürfe. Als er aber zu Hauſe angekommen ſich<lb/>
haſtig umkleidete, fiel es ihm ein, daß nun die<lb/>
Mutter allein unter dem Volke auf dem Rath¬<lb/>
hauſe ſitze, und dieſer Gedanke machte ihn plötz¬<lb/>
lich und ſonderbarer Weiſe ſo zornig und beſorgt<lb/>
um ihre Ehre, daß er ſich beeilte nur wieder<lb/>
hinzukommen und ſie abzuholen. Auch glaubte<lb/>
er ihr einen rechten Ritterdienſt damit zu erwei¬<lb/>ſen, daß er ſo pünktlich wieder erſchien, und<lb/>
alle etwaigen Unebenheiten dadurch auf's Schönſte<lb/>
ausgeglichen. Frau Amrain aber empfahl ſich<lb/>
der Geſellſchaft und ging ernſt und ſchweigſam<lb/>
neben ihrem Sohne nach Hauſe. Dort ſetzte ſie<lb/>ſich ſeufzend auf ihren gewohnten Seſſel und<lb/>ſchwieg eine Weile; dann aber ſtand ſie auf,<lb/>
ergriff das daliegende Staatskleid und zerriß es<lb/></p></div></body></text></TEI>
[150/0162]
richtig ſei; tief erröthend machte er ſich fort,
und als er über die Straße eilte und das rau¬
ſchende Kleid ihm ſo ungewohnt gegen die Füße
ſchlug, während der Nachtwächter ihm verdächtig
nachſah, merkte er erſt recht, daß das eine unge¬
eignete Tracht wäre für einen jungen Republi¬
kaner, in der man Niemandem in's Geſicht ſehen
dürfe. Als er aber zu Hauſe angekommen ſich
haſtig umkleidete, fiel es ihm ein, daß nun die
Mutter allein unter dem Volke auf dem Rath¬
hauſe ſitze, und dieſer Gedanke machte ihn plötz¬
lich und ſonderbarer Weiſe ſo zornig und beſorgt
um ihre Ehre, daß er ſich beeilte nur wieder
hinzukommen und ſie abzuholen. Auch glaubte
er ihr einen rechten Ritterdienſt damit zu erwei¬
ſen, daß er ſo pünktlich wieder erſchien, und
alle etwaigen Unebenheiten dadurch auf's Schönſte
ausgeglichen. Frau Amrain aber empfahl ſich
der Geſellſchaft und ging ernſt und ſchweigſam
neben ihrem Sohne nach Hauſe. Dort ſetzte ſie
ſich ſeufzend auf ihren gewohnten Seſſel und
ſchwieg eine Weile; dann aber ſtand ſie auf,
ergriff das daliegende Staatskleid und zerriß es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/162>, abgerufen am 18.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.