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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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noch einmal um! "Wir sind ja fertig!" sagte
der Knecht. "Halt's Maul und thu' wie ich dir
sage!" der Meister. Und sie kehrten um und
rissen eine tüchtige Furche in den mittleren her¬
renlosen Acker hinein, daß Kraut und Steine
flogen. Der Bauer hielt sich aber nicht mit
der Beseitigung derselben auf, er mochte denken,
hiezu sei noch Zeit genug vorhanden, und er
begnügte sich, für heute die Sache nur aus dem
Gröbsten zu thun. So ging es rasch die Höhe
empor in sanftem Bogen, und als man oben
angelangt und das liebliche Windeswehen eben
wieder den Kappenzipfel des Mannes zurück¬
warf, pflügte auf der anderen Seite der Nach¬
bar vorüber mit dem Zipfel nach vorn und
schnitt ebenfalls eine ansehnliche Furche vom
mittleren Acker, daß die Schollen nur so zur
Seite flogen. Jeder sah wohl, was der andere
that, aber keiner schien es zu sehen und sie ent¬
schwanden sich wieder, indem jedes Sternbild
still am andern vorüberging und hinter diese
runde Welt hinabtauchte. So gehen die Weber¬
schiffchen des Geschickes an einander vorbei und
"was er webt, das weiß kein Weber!"


noch einmal um! »Wir ſind ja fertig!« ſagte
der Knecht. »Halt's Maul und thu' wie ich dir
ſage!« der Meiſter. Und ſie kehrten um und
riſſen eine tüchtige Furche in den mittleren her¬
renloſen Acker hinein, daß Kraut und Steine
flogen. Der Bauer hielt ſich aber nicht mit
der Beſeitigung derſelben auf, er mochte denken,
hiezu ſei noch Zeit genug vorhanden, und er
begnügte ſich, für heute die Sache nur aus dem
Gröbſten zu thun. So ging es raſch die Höhe
empor in ſanftem Bogen, und als man oben
angelangt und das liebliche Windeswehen eben
wieder den Kappenzipfel des Mannes zurück¬
warf, pflügte auf der anderen Seite der Nach¬
bar vorüber mit dem Zipfel nach vorn und
ſchnitt ebenfalls eine anſehnliche Furche vom
mittleren Acker, daß die Schollen nur ſo zur
Seite flogen. Jeder ſah wohl, was der andere
that, aber keiner ſchien es zu ſehen und ſie ent¬
ſchwanden ſich wieder, indem jedes Sternbild
ſtill am andern vorüberging und hinter dieſe
runde Welt hinabtauchte. So gehen die Weber¬
ſchiffchen des Geſchickes an einander vorbei und
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[224/0236] noch einmal um! »Wir ſind ja fertig!« ſagte der Knecht. »Halt's Maul und thu' wie ich dir ſage!« der Meiſter. Und ſie kehrten um und riſſen eine tüchtige Furche in den mittleren her¬ renloſen Acker hinein, daß Kraut und Steine flogen. Der Bauer hielt ſich aber nicht mit der Beſeitigung derſelben auf, er mochte denken, hiezu ſei noch Zeit genug vorhanden, und er begnügte ſich, für heute die Sache nur aus dem Gröbſten zu thun. So ging es raſch die Höhe empor in ſanftem Bogen, und als man oben angelangt und das liebliche Windeswehen eben wieder den Kappenzipfel des Mannes zurück¬ warf, pflügte auf der anderen Seite der Nach¬ bar vorüber mit dem Zipfel nach vorn und ſchnitt ebenfalls eine anſehnliche Furche vom mittleren Acker, daß die Schollen nur ſo zur Seite flogen. Jeder ſah wohl, was der andere that, aber keiner ſchien es zu ſehen und ſie ent¬ ſchwanden ſich wieder, indem jedes Sternbild ſtill am andern vorüberging und hinter dieſe runde Welt hinabtauchte. So gehen die Weber¬ ſchiffchen des Geſchickes an einander vorbei und »was er webt, das weiß kein Weber!«

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/236>, abgerufen am 21.11.2024.