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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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sechszehn Jahre zählte, war es schon ein schlank¬
gewachsenes ziervolles Mädchen; seine dunkel¬
braunen Haare ringelten sich unablässig fast bis
über die blitzenden braunen Augen, dunkelrothes
Blut durchschimmerte die Wangen des bräunlichen
Gesichtes und glänzte als tiefer Purpur auf den
frischen Lippen, wie man es selten sah und was
dem dunklen Kinde ein eigenthümliches Ansehen
und Kennzeichen gab. Feurige Lebenslust und
Fröhlichkeit zitterte in jeder Fiber dieses Wesens;
es lachte und war aufgelegt zu Scherz und
Spiel, wenn das Wetter nur im mindesten lieb¬
lich war, d. h. wenn es nicht zu sehr gequält
wurde und nicht zu viel Sorgen hatte. Diese
plagten es aber häufig genug; denn nicht nur
hatte es den Kummer und das wachsende Elend
des Hauses mit zu tragen, sondern es mußte
noch sich selber in Acht nehmen und mochte sich
gern halbwegs ordentlich und reinlich kleiden,
ohne daß der Vater ihm die geringsten Mittel
dazu geben wollte. So hatte Vrenchen die größte
Noth, seine anmuthige Person einigermaßen aus¬
zustaffiren, sich ein allerbescheidenstes Sonntags¬
kleid zu erobern und einige bunte, fast werth¬

ſechszehn Jahre zählte, war es ſchon ein ſchlank¬
gewachſenes ziervolles Mädchen; ſeine dunkel¬
braunen Haare ringelten ſich unabläſſig faſt bis
über die blitzenden braunen Augen, dunkelrothes
Blut durchſchimmerte die Wangen des bräunlichen
Geſichtes und glänzte als tiefer Purpur auf den
friſchen Lippen, wie man es ſelten ſah und was
dem dunklen Kinde ein eigenthümliches Anſehen
und Kennzeichen gab. Feurige Lebensluſt und
Fröhlichkeit zitterte in jeder Fiber dieſes Weſens;
es lachte und war aufgelegt zu Scherz und
Spiel, wenn das Wetter nur im mindeſten lieb¬
lich war, d. h. wenn es nicht zu ſehr gequält
wurde und nicht zu viel Sorgen hatte. Dieſe
plagten es aber häufig genug; denn nicht nur
hatte es den Kummer und das wachſende Elend
des Hauſes mit zu tragen, ſondern es mußte
noch ſich ſelber in Acht nehmen und mochte ſich
gern halbwegs ordentlich und reinlich kleiden,
ohne daß der Vater ihm die geringſten Mittel
dazu geben wollte. So hatte Vrenchen die größte
Noth, ſeine anmuthige Perſon einigermaßen aus¬
zuſtaffiren, ſich ein allerbeſcheidenſtes Sonntags¬
kleid zu erobern und einige bunte, faſt werth¬

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[239/0251] ſechszehn Jahre zählte, war es ſchon ein ſchlank¬ gewachſenes ziervolles Mädchen; ſeine dunkel¬ braunen Haare ringelten ſich unabläſſig faſt bis über die blitzenden braunen Augen, dunkelrothes Blut durchſchimmerte die Wangen des bräunlichen Geſichtes und glänzte als tiefer Purpur auf den friſchen Lippen, wie man es ſelten ſah und was dem dunklen Kinde ein eigenthümliches Anſehen und Kennzeichen gab. Feurige Lebensluſt und Fröhlichkeit zitterte in jeder Fiber dieſes Weſens; es lachte und war aufgelegt zu Scherz und Spiel, wenn das Wetter nur im mindeſten lieb¬ lich war, d. h. wenn es nicht zu ſehr gequält wurde und nicht zu viel Sorgen hatte. Dieſe plagten es aber häufig genug; denn nicht nur hatte es den Kummer und das wachſende Elend des Hauſes mit zu tragen, ſondern es mußte noch ſich ſelber in Acht nehmen und mochte ſich gern halbwegs ordentlich und reinlich kleiden, ohne daß der Vater ihm die geringſten Mittel dazu geben wollte. So hatte Vrenchen die größte Noth, ſeine anmuthige Perſon einigermaßen aus¬ zuſtaffiren, ſich ein allerbeſcheidenſtes Sonntags¬ kleid zu erobern und einige bunte, faſt werth¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/251>, abgerufen am 24.11.2024.