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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Sie trug einen hölzernen Fischeimer in der einen
Hand, in der andern hatte sie Schuh und
Strümpfe getragen und ihr Kleid der Nässe
wegen aufgeschürzt. Seit aber Sali auf der
andern Seite ging, hatte sie es schamhaft sinken
lassen und war nun dreifach belästigt und ge¬
quält, da sie alle das Zeug tragen, den Rock
zusammenhalten und des Streites wegen sich
grämen mußte. Hätte sie aufgesehen und nach
Sali geblickt, so würde sie entdeckt haben, daß
er weder vornehm noch sehr stolz mehr aussah
und selbst bekümmert genug war. Während
Vrenchen so ganz beschämt und verwirrt auf die
Erde sah und Sali nur diese in allem Elende
schlanke und anmuthige Gestalt im Auge hatte,
die so verlegen und demüthig dahin schritt, be¬
achteten sie dabei nicht, wie ihre Väter still
geworden aber mit verstärkter Wuth einem höl¬
zernen Stege zueilten, der in kleiner Entfernung
über den Bach führte und eben sichtbar wurde.
Es fing an zu blitzen und erleuchtete seltsam
die dunkle melancholische Wassergegend, es don¬
nerte auch in den grauschwarzen Wolken mit
dumpfem Grolle und schwere Regentropfen fielen,

Keller, die Leute von Seldwyla. 17

Sie trug einen hölzernen Fiſcheimer in der einen
Hand, in der andern hatte ſie Schuh und
Strümpfe getragen und ihr Kleid der Näſſe
wegen aufgeſchürzt. Seit aber Sali auf der
andern Seite ging, hatte ſie es ſchamhaft ſinken
laſſen und war nun dreifach beläſtigt und ge¬
quält, da ſie alle das Zeug tragen, den Rock
zuſammenhalten und des Streites wegen ſich
grämen mußte. Hätte ſie aufgeſehen und nach
Sali geblickt, ſo würde ſie entdeckt haben, daß
er weder vornehm noch ſehr ſtolz mehr ausſah
und ſelbſt bekümmert genug war. Während
Vrenchen ſo ganz beſchämt und verwirrt auf die
Erde ſah und Sali nur dieſe in allem Elende
ſchlanke und anmuthige Geſtalt im Auge hatte,
die ſo verlegen und demüthig dahin ſchritt, be¬
achteten ſie dabei nicht, wie ihre Väter ſtill
geworden aber mit verſtärkter Wuth einem höl¬
zernen Stege zueilten, der in kleiner Entfernung
über den Bach führte und eben ſichtbar wurde.
Es fing an zu blitzen und erleuchtete ſeltſam
die dunkle melancholiſche Waſſergegend, es don¬
nerte auch in den grauſchwarzen Wolken mit
dumpfem Grolle und ſchwere Regentropfen fielen,

Keller, die Leute von Seldwyla. 17
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[257/0269] Sie trug einen hölzernen Fiſcheimer in der einen Hand, in der andern hatte ſie Schuh und Strümpfe getragen und ihr Kleid der Näſſe wegen aufgeſchürzt. Seit aber Sali auf der andern Seite ging, hatte ſie es ſchamhaft ſinken laſſen und war nun dreifach beläſtigt und ge¬ quält, da ſie alle das Zeug tragen, den Rock zuſammenhalten und des Streites wegen ſich grämen mußte. Hätte ſie aufgeſehen und nach Sali geblickt, ſo würde ſie entdeckt haben, daß er weder vornehm noch ſehr ſtolz mehr ausſah und ſelbſt bekümmert genug war. Während Vrenchen ſo ganz beſchämt und verwirrt auf die Erde ſah und Sali nur dieſe in allem Elende ſchlanke und anmuthige Geſtalt im Auge hatte, die ſo verlegen und demüthig dahin ſchritt, be¬ achteten ſie dabei nicht, wie ihre Väter ſtill geworden aber mit verſtärkter Wuth einem höl¬ zernen Stege zueilten, der in kleiner Entfernung über den Bach führte und eben ſichtbar wurde. Es fing an zu blitzen und erleuchtete ſeltſam die dunkle melancholiſche Waſſergegend, es don¬ nerte auch in den grauſchwarzen Wolken mit dumpfem Grolle und ſchwere Regentropfen fielen, Keller, die Leute von Seldwyla. 17

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/269>, abgerufen am 26.11.2024.