Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

mit tausend Freuden, ihr kennt mich ja! Ach,
es ist nichts Schöneres, als wenn eine wohlha¬
bende Stadtfrau, die so rathlos in ihren Mauern
sitzt und doch so vieler Dinge benöthigt ist, und
eine rechtschaffene ehrliche Landfrau, erfahren in
allem Wichtigen und Nützlichen, eine gute und
dauerhafte Freundschaft zusammen haben! Es
kommt Einem zu gut in hundert Fällen, in Freud
und Leid, bei Gevatterschaften und Hochzeiten,
wenn die Kinder unterrichtet werden, und konfir¬
mirt, wenn sie in die Lehre kommen und wenn
sie in die Fremde sollen! Bei Mißwachs und
Überschwemmungen, bei Feuersbrünsten und Hagel¬
schlag, wofür uns Gott behüte!" "Wofür uns
Gott behüte! sagte die gute Frau schluchzend
und trocknete mit ihrer Schürze die Augen;
"welch' ein verständiges und tiefsinniges Bräut¬
lein bist Du, ja, Dir wird es gut gehen, da
müßte keine Gerechtigkeit in der Welt sein!
Schön, sauber, klug und weise bist Du, arbeit¬
sam und geschickt zu allen Dingen! Keine ist
feiner und besser als Du, in und außer dem
Dorfe, und wer Dich hat, der muß meinen, er
sei im Himmelreich, oder er ist ein Schelm und

mit tauſend Freuden, ihr kennt mich ja! Ach,
es iſt nichts Schöneres, als wenn eine wohlha¬
bende Stadtfrau, die ſo rathlos in ihren Mauern
ſitzt und doch ſo vieler Dinge benöthigt iſt, und
eine rechtſchaffene ehrliche Landfrau, erfahren in
allem Wichtigen und Nützlichen, eine gute und
dauerhafte Freundſchaft zuſammen haben! Es
kommt Einem zu gut in hundert Fällen, in Freud
und Leid, bei Gevatterſchaften und Hochzeiten,
wenn die Kinder unterrichtet werden, und konfir¬
mirt, wenn ſie in die Lehre kommen und wenn
ſie in die Fremde ſollen! Bei Mißwachs und
Überſchwemmungen, bei Feuersbrünſten und Hagel¬
ſchlag, wofür uns Gott behüte!« »Wofür uns
Gott behüte! ſagte die gute Frau ſchluchzend
und trocknete mit ihrer Schürze die Augen;
»welch' ein verſtändiges und tiefſinniges Bräut¬
lein biſt Du, ja, Dir wird es gut gehen, da
müßte keine Gerechtigkeit in der Welt ſein!
Schön, ſauber, klug und weiſe biſt Du, arbeit¬
ſam und geſchickt zu allen Dingen! Keine iſt
feiner und beſſer als Du, in und außer dem
Dorfe, und wer Dich hat, der muß meinen, er
ſei im Himmelreich, oder er iſt ein Schelm und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0324" n="312"/>
mit tau&#x017F;end Freuden, ihr kennt mich ja! Ach,<lb/>
es i&#x017F;t nichts Schöneres, als wenn eine wohlha¬<lb/>
bende Stadtfrau, die &#x017F;o rathlos in ihren Mauern<lb/>
&#x017F;itzt und doch &#x017F;o vieler Dinge benöthigt i&#x017F;t, und<lb/>
eine recht&#x017F;chaffene ehrliche Landfrau, erfahren in<lb/>
allem Wichtigen und Nützlichen, eine gute und<lb/>
dauerhafte Freund&#x017F;chaft zu&#x017F;ammen haben! Es<lb/>
kommt Einem zu gut in hundert Fällen, in Freud<lb/>
und Leid, bei Gevatter&#x017F;chaften und Hochzeiten,<lb/>
wenn die Kinder unterrichtet werden, und konfir¬<lb/>
mirt, wenn &#x017F;ie in die Lehre kommen und wenn<lb/>
&#x017F;ie in die Fremde &#x017F;ollen! Bei Mißwachs und<lb/>
Über&#x017F;chwemmungen, bei Feuersbrün&#x017F;ten und Hagel¬<lb/>
&#x017F;chlag, wofür uns Gott behüte!« »Wofür uns<lb/>
Gott behüte! &#x017F;agte die gute Frau &#x017F;chluchzend<lb/>
und trocknete mit ihrer Schürze die Augen;<lb/>
»welch' ein ver&#x017F;tändiges und tief&#x017F;inniges Bräut¬<lb/>
lein bi&#x017F;t Du, ja, Dir wird es gut gehen, da<lb/>
müßte keine Gerechtigkeit in der Welt &#x017F;ein!<lb/>
Schön, &#x017F;auber, klug und wei&#x017F;e bi&#x017F;t Du, arbeit¬<lb/>
&#x017F;am und ge&#x017F;chickt zu allen Dingen! Keine i&#x017F;t<lb/>
feiner und be&#x017F;&#x017F;er als Du, in und außer dem<lb/>
Dorfe, und wer Dich hat, der muß meinen, er<lb/>
&#x017F;ei im Himmelreich, oder er i&#x017F;t ein Schelm und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[312/0324] mit tauſend Freuden, ihr kennt mich ja! Ach, es iſt nichts Schöneres, als wenn eine wohlha¬ bende Stadtfrau, die ſo rathlos in ihren Mauern ſitzt und doch ſo vieler Dinge benöthigt iſt, und eine rechtſchaffene ehrliche Landfrau, erfahren in allem Wichtigen und Nützlichen, eine gute und dauerhafte Freundſchaft zuſammen haben! Es kommt Einem zu gut in hundert Fällen, in Freud und Leid, bei Gevatterſchaften und Hochzeiten, wenn die Kinder unterrichtet werden, und konfir¬ mirt, wenn ſie in die Lehre kommen und wenn ſie in die Fremde ſollen! Bei Mißwachs und Überſchwemmungen, bei Feuersbrünſten und Hagel¬ ſchlag, wofür uns Gott behüte!« »Wofür uns Gott behüte! ſagte die gute Frau ſchluchzend und trocknete mit ihrer Schürze die Augen; »welch' ein verſtändiges und tiefſinniges Bräut¬ lein biſt Du, ja, Dir wird es gut gehen, da müßte keine Gerechtigkeit in der Welt ſein! Schön, ſauber, klug und weiſe biſt Du, arbeit¬ ſam und geſchickt zu allen Dingen! Keine iſt feiner und beſſer als Du, in und außer dem Dorfe, und wer Dich hat, der muß meinen, er ſei im Himmelreich, oder er iſt ein Schelm und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/324
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/324>, abgerufen am 22.11.2024.