indessen lang und gemächlich am Tische, wie wenn sie zögerten und sich scheuten, aus der holden Täuschung herauszugehen. Die Wirthin brachte zum Nachtisch süßes Backwerk und Sali bestellte feineren und stärkeren Wein dazu, welcher Vren¬ chen feurig durch die Adern rollte, als es ein wenig davon trank; aber es nahm sich in Acht, nippte blos zuweilen und saß so züchtig und verschämt da, wie eine wirkliche Braut. Halb spielte es aus Schalkheit diese Rolle und aus Lust, zu versuchen, wie es thue, halb war es ihm in der That so zu Muth und vor Bangig¬ keit und heißer Liebe wollte ihm das Herz bre¬ chen, so daß es ihm zu eng ward innerhalb der vier Wände und es zu gehen begehrte. Es war als ob sie sich scheuten, auf dem Wege wieder so abseits und allein zu sein, denn sie gingen unverabredet auf der Hauptstraße weiter, mitten durch die Leute und sahen weder rechts noch links. Als sie aber aus dem Dorfe waren und auf das nächstgelegene zugingen, wo Kirchweih war, hing sich Vrenchen an Sali's Arm und flüsterte mit zitternden Worten: "Sali! warum sollen wir uns nicht haben und glücklich sein!"
indeſſen lang und gemächlich am Tiſche, wie wenn ſie zögerten und ſich ſcheuten, aus der holden Täuſchung herauszugehen. Die Wirthin brachte zum Nachtiſch ſüßes Backwerk und Sali beſtellte feineren und ſtärkeren Wein dazu, welcher Vren¬ chen feurig durch die Adern rollte, als es ein wenig davon trank; aber es nahm ſich in Acht, nippte blos zuweilen und ſaß ſo züchtig und verſchämt da, wie eine wirkliche Braut. Halb ſpielte es aus Schalkheit dieſe Rolle und aus Luſt, zu verſuchen, wie es thue, halb war es ihm in der That ſo zu Muth und vor Bangig¬ keit und heißer Liebe wollte ihm das Herz bre¬ chen, ſo daß es ihm zu eng ward innerhalb der vier Wände und es zu gehen begehrte. Es war als ob ſie ſich ſcheuten, auf dem Wege wieder ſo abſeits und allein zu ſein, denn ſie gingen unverabredet auf der Hauptſtraße weiter, mitten durch die Leute und ſahen weder rechts noch links. Als ſie aber aus dem Dorfe waren und auf das nächſtgelegene zugingen, wo Kirchweih war, hing ſich Vrenchen an Sali's Arm und flüſterte mit zitternden Worten: »Sali! warum ſollen wir uns nicht haben und glücklich ſein!«
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0338"n="326"/>
indeſſen lang und gemächlich am Tiſche, wie wenn<lb/>ſie zögerten und ſich ſcheuten, aus der holden<lb/>
Täuſchung herauszugehen. Die Wirthin brachte<lb/>
zum Nachtiſch ſüßes Backwerk und Sali beſtellte<lb/>
feineren und ſtärkeren Wein dazu, welcher Vren¬<lb/>
chen feurig durch die Adern rollte, als es ein<lb/>
wenig davon trank; aber es nahm ſich in Acht,<lb/>
nippte blos zuweilen und ſaß ſo züchtig und<lb/>
verſchämt da, wie eine wirkliche Braut. Halb<lb/>ſpielte es aus Schalkheit dieſe Rolle und aus<lb/>
Luſt, zu verſuchen, wie es thue, halb war es<lb/>
ihm in der That ſo zu Muth und vor Bangig¬<lb/>
keit und heißer Liebe wollte ihm das Herz bre¬<lb/>
chen, ſo daß es ihm zu eng ward innerhalb der<lb/>
vier Wände und es zu gehen begehrte. Es war<lb/>
als ob ſie ſich ſcheuten, auf dem Wege wieder<lb/>ſo abſeits und allein zu ſein, denn ſie gingen<lb/>
unverabredet auf der Hauptſtraße weiter, mitten<lb/>
durch die Leute und ſahen weder rechts noch<lb/>
links. Als ſie aber aus dem Dorfe waren und<lb/>
auf das nächſtgelegene zugingen, wo Kirchweih<lb/>
war, hing ſich Vrenchen an Sali's Arm und<lb/>
flüſterte mit zitternden Worten: »Sali! warum<lb/>ſollen wir uns nicht haben und glücklich ſein!«<lb/></p></div></body></text></TEI>
[326/0338]
indeſſen lang und gemächlich am Tiſche, wie wenn
ſie zögerten und ſich ſcheuten, aus der holden
Täuſchung herauszugehen. Die Wirthin brachte
zum Nachtiſch ſüßes Backwerk und Sali beſtellte
feineren und ſtärkeren Wein dazu, welcher Vren¬
chen feurig durch die Adern rollte, als es ein
wenig davon trank; aber es nahm ſich in Acht,
nippte blos zuweilen und ſaß ſo züchtig und
verſchämt da, wie eine wirkliche Braut. Halb
ſpielte es aus Schalkheit dieſe Rolle und aus
Luſt, zu verſuchen, wie es thue, halb war es
ihm in der That ſo zu Muth und vor Bangig¬
keit und heißer Liebe wollte ihm das Herz bre¬
chen, ſo daß es ihm zu eng ward innerhalb der
vier Wände und es zu gehen begehrte. Es war
als ob ſie ſich ſcheuten, auf dem Wege wieder
ſo abſeits und allein zu ſein, denn ſie gingen
unverabredet auf der Hauptſtraße weiter, mitten
durch die Leute und ſahen weder rechts noch
links. Als ſie aber aus dem Dorfe waren und
auf das nächſtgelegene zugingen, wo Kirchweih
war, hing ſich Vrenchen an Sali's Arm und
flüſterte mit zitternden Worten: »Sali! warum
ſollen wir uns nicht haben und glücklich ſein!«
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/338>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.