Gitter durch mit einem Stäbchen anstach und erklärte, so daß der traurige Vogel keine Ruhe hatte. Es war ein Adler aus Amerika; und die fernen blauesten Länder, über denen er in seiner Freiheit geschwebt, kamen der Wittwe in den Sinn und machten sie um so trauriger, als sie den Teufel wußte, was das für Länder wären, noch wo ihr Söhnchen sei. Um den Vogel zu sehen, hatten die Nachbaren auf das Plätzchen hinaustreten müssen, und als er nun fort war, bildeten sie eine Gruppe, steckten die Nasen in die Luft und lauerten auf noch mehr Merkwür¬ digkeiten, da sie nun doch die Lust ankam, den übrigen Tag zu vertrödeln.
Diese Lust wurde denn auch erfüllt und es dauerte nicht lange bis das allergrößte Spek¬ takel sich mit großem Lärm näherte unter dem Zulauf aller Kinder des Städtchens. Denn ein mächtiges Kameel schwankte auf den Platz, von mehreren Affen bewohnt; ein großer Bär wurde an seinem Nasenringe herbeigeführt; zwei oder drei Männer waren dabei, kurz ein ganzer Bä¬ rentanz führte sich auf und der Bär tanzte und machte seine possierlichen Künste, indem er von
Gitter durch mit einem Stäbchen anſtach und erklärte, ſo daß der traurige Vogel keine Ruhe hatte. Es war ein Adler aus Amerika; und die fernen blaueſten Länder, über denen er in ſeiner Freiheit geſchwebt, kamen der Wittwe in den Sinn und machten ſie um ſo trauriger, als ſie den Teufel wußte, was das für Länder wären, noch wo ihr Söhnchen ſei. Um den Vogel zu ſehen, hatten die Nachbaren auf das Plätzchen hinaustreten müſſen, und als er nun fort war, bildeten ſie eine Gruppe, ſteckten die Naſen in die Luft und lauerten auf noch mehr Merkwür¬ digkeiten, da ſie nun doch die Luſt ankam, den übrigen Tag zu vertrödeln.
Dieſe Luſt wurde denn auch erfüllt und es dauerte nicht lange bis das allergrößte Spek¬ takel ſich mit großem Lärm näherte unter dem Zulauf aller Kinder des Städtchens. Denn ein mächtiges Kameel ſchwankte auf den Platz, von mehreren Affen bewohnt; ein großer Bär wurde an ſeinem Naſenringe herbeigeführt; zwei oder drei Männer waren dabei, kurz ein ganzer Bä¬ rentanz führte ſich auf und der Bär tanzte und machte ſeine poſſierlichen Künſte, indem er von
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0034"n="22"/>
Gitter durch mit einem Stäbchen anſtach und<lb/>
erklärte, ſo daß der traurige Vogel keine Ruhe<lb/>
hatte. Es war ein Adler aus Amerika; und die<lb/>
fernen blaueſten Länder, über denen er in ſeiner<lb/>
Freiheit geſchwebt, kamen der Wittwe in den<lb/>
Sinn und machten ſie um ſo trauriger, als ſie<lb/>
den Teufel wußte, was das für Länder wären,<lb/>
noch wo ihr Söhnchen ſei. Um den Vogel zu<lb/>ſehen, hatten die Nachbaren auf das Plätzchen<lb/>
hinaustreten müſſen, und als er nun fort war,<lb/>
bildeten ſie eine Gruppe, ſteckten die Naſen in<lb/>
die Luft und lauerten auf noch mehr Merkwür¬<lb/>
digkeiten, da ſie nun doch die Luſt ankam, den<lb/>
übrigen Tag zu vertrödeln.</p><lb/><p>Dieſe Luſt wurde denn auch erfüllt und es<lb/>
dauerte nicht lange bis das allergrößte Spek¬<lb/>
takel ſich mit großem Lärm näherte unter dem<lb/>
Zulauf aller Kinder des Städtchens. Denn ein<lb/>
mächtiges Kameel ſchwankte auf den Platz, von<lb/>
mehreren Affen bewohnt; ein großer Bär wurde<lb/>
an ſeinem Naſenringe herbeigeführt; zwei oder<lb/>
drei Männer waren dabei, kurz ein ganzer Bä¬<lb/>
rentanz führte ſich auf und der Bär tanzte und<lb/>
machte ſeine poſſierlichen Künſte, indem er von<lb/></p></div></body></text></TEI>
[22/0034]
Gitter durch mit einem Stäbchen anſtach und
erklärte, ſo daß der traurige Vogel keine Ruhe
hatte. Es war ein Adler aus Amerika; und die
fernen blaueſten Länder, über denen er in ſeiner
Freiheit geſchwebt, kamen der Wittwe in den
Sinn und machten ſie um ſo trauriger, als ſie
den Teufel wußte, was das für Länder wären,
noch wo ihr Söhnchen ſei. Um den Vogel zu
ſehen, hatten die Nachbaren auf das Plätzchen
hinaustreten müſſen, und als er nun fort war,
bildeten ſie eine Gruppe, ſteckten die Naſen in
die Luft und lauerten auf noch mehr Merkwür¬
digkeiten, da ſie nun doch die Luſt ankam, den
übrigen Tag zu vertrödeln.
Dieſe Luſt wurde denn auch erfüllt und es
dauerte nicht lange bis das allergrößte Spek¬
takel ſich mit großem Lärm näherte unter dem
Zulauf aller Kinder des Städtchens. Denn ein
mächtiges Kameel ſchwankte auf den Platz, von
mehreren Affen bewohnt; ein großer Bär wurde
an ſeinem Naſenringe herbeigeführt; zwei oder
drei Männer waren dabei, kurz ein ganzer Bä¬
rentanz führte ſich auf und der Bär tanzte und
machte ſeine poſſierlichen Künſte, indem er von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/34>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.