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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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nicht!" "Dann sind wir aber zwei Schnecken,
von denen jede das Häuschen der andern trägt!"
sagte Sali, und Vrenchen erwiederte: "Desto
weniger dürfen wir von einander gehen, damit
jedes seiner Wohnung nah bleibt!" Doch wu߬
ten sie nicht, daß sie in ihren Reden eben so
artige Witze machten, als auf den vielfach ge¬
formten Lebkuchen zu lesen waren, und fuhren
fort, diese süße einfache Liebesliteratur zu studi¬
ren, die da ausgebreitet lag und besonders auf
vielfach verzierte kleine und große Herzen ge¬
klebt war. Alles dünkte sie schön und einzig
zutreffend; als Vrenchen auf einem vergoldeten
Herzen, das wie eine Lyra mit Saiten bespannt
war, las: Mein Herz ist wie ein Zitherspiel,
rührt man es viel, so tönt es viel! ward ihm
so musikalisch zu Muth, daß es glaubte, sein
eigenes Herz klingen zu hören. Ein Napoleons¬
bild war da, welches aber auch der Träger
eines verliebten Spruches sein mußte, denn es
stand darunter geschrieben: Groß war der Held
Napoleon, sein Schwert von Stahl, sein Herz
von Thon; meine Liebe trägt ein Röslein frei,
doch ist ihr Herz wie Stahl so treu! -- Wäh¬

nicht!« »Dann ſind wir aber zwei Schnecken,
von denen jede das Häuschen der andern trägt!«
ſagte Sali, und Vrenchen erwiederte: »Deſto
weniger dürfen wir von einander gehen, damit
jedes ſeiner Wohnung nah bleibt!« Doch wu߬
ten ſie nicht, daß ſie in ihren Reden eben ſo
artige Witze machten, als auf den vielfach ge¬
formten Lebkuchen zu leſen waren, und fuhren
fort, dieſe ſüße einfache Liebesliteratur zu ſtudi¬
ren, die da ausgebreitet lag und beſonders auf
vielfach verzierte kleine und große Herzen ge¬
klebt war. Alles dünkte ſie ſchön und einzig
zutreffend; als Vrenchen auf einem vergoldeten
Herzen, das wie eine Lyra mit Saiten beſpannt
war, las: Mein Herz iſt wie ein Zitherſpiel,
rührt man es viel, ſo tönt es viel! ward ihm
ſo muſikaliſch zu Muth, daß es glaubte, ſein
eigenes Herz klingen zu hören. Ein Napoleons¬
bild war da, welches aber auch der Träger
eines verliebten Spruches ſein mußte, denn es
ſtand darunter geſchrieben: Groß war der Held
Napoleon, ſein Schwert von Stahl, ſein Herz
von Thon; meine Liebe trägt ein Röslein frei,
doch iſt ihr Herz wie Stahl ſo treu! — Wäh¬

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[330/0342] nicht!« »Dann ſind wir aber zwei Schnecken, von denen jede das Häuschen der andern trägt!« ſagte Sali, und Vrenchen erwiederte: »Deſto weniger dürfen wir von einander gehen, damit jedes ſeiner Wohnung nah bleibt!« Doch wu߬ ten ſie nicht, daß ſie in ihren Reden eben ſo artige Witze machten, als auf den vielfach ge¬ formten Lebkuchen zu leſen waren, und fuhren fort, dieſe ſüße einfache Liebesliteratur zu ſtudi¬ ren, die da ausgebreitet lag und beſonders auf vielfach verzierte kleine und große Herzen ge¬ klebt war. Alles dünkte ſie ſchön und einzig zutreffend; als Vrenchen auf einem vergoldeten Herzen, das wie eine Lyra mit Saiten beſpannt war, las: Mein Herz iſt wie ein Zitherſpiel, rührt man es viel, ſo tönt es viel! ward ihm ſo muſikaliſch zu Muth, daß es glaubte, ſein eigenes Herz klingen zu hören. Ein Napoleons¬ bild war da, welches aber auch der Träger eines verliebten Spruches ſein mußte, denn es ſtand darunter geſchrieben: Groß war der Held Napoleon, ſein Schwert von Stahl, ſein Herz von Thon; meine Liebe trägt ein Röslein frei, doch iſt ihr Herz wie Stahl ſo treu! — Wäh¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/342>, abgerufen am 22.11.2024.