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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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sie sich an dem traurigen Waldhornbläser vor¬
überdrehte, wozu dieser immer den Kopf ab¬
wandte. Noch einige andere vergnügte Frau¬
ensleute waren da mit ihren Beschützern, alle
von dürftigem Aussehen, aber sie waren um so
lustiger und in bester Eintracht unter einander.
Als es gänzlich dunkel war, wollte der Wirth
keine Lichter anzünden, da er behauptete, der
Wind lösche sie aus, auch ginge der Vollmond
sogleich auf und für das, was ihm diese Herr¬
schaften einbrächten, sei das Mondlicht gut genug.
Diese Eröffnung wurde mit großem Wohlgefallen
aufgenommen; die ganze Gesellschaft stellte sich
an die Brüstung des lustigen Saales und sah
dem Aufgange des Gestirnes entgegen, dessen
Röthe schon am Horizonte stand, und sobald der
Mond aufging und sein Licht quer durch den
Estrich des Paradiesgärtels warf, tanzten sie im
Mondschein weiter, und zwar so still, artig und
seelenvergnügt, als ob sie im Glanze von hun¬
dert Wachskerzen tanzten. Das seltsame Licht
machte Alle vertrauter und so konnten Sali und
Vrenchen nicht umhin, sich unter die gemeinsame
Lustbarkeit zu mischen und auch mit andern zu

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ſie ſich an dem traurigen Waldhornbläſer vor¬
überdrehte, wozu dieſer immer den Kopf ab¬
wandte. Noch einige andere vergnügte Frau¬
ensleute waren da mit ihren Beſchützern, alle
von dürftigem Ausſehen, aber ſie waren um ſo
luſtiger und in beſter Eintracht unter einander.
Als es gänzlich dunkel war, wollte der Wirth
keine Lichter anzünden, da er behauptete, der
Wind löſche ſie aus, auch ginge der Vollmond
ſogleich auf und für das, was ihm dieſe Herr¬
ſchaften einbrächten, ſei das Mondlicht gut genug.
Dieſe Eröffnung wurde mit großem Wohlgefallen
aufgenommen; die ganze Geſellſchaft ſtellte ſich
an die Brüſtung des luſtigen Saales und ſah
dem Aufgange des Geſtirnes entgegen, deſſen
Röthe ſchon am Horizonte ſtand, und ſobald der
Mond aufging und ſein Licht quer durch den
Eſtrich des Paradiesgärtels warf, tanzten ſie im
Mondſchein weiter, und zwar ſo ſtill, artig und
ſeelenvergnügt, als ob ſie im Glanze von hun¬
dert Wachskerzen tanzten. Das ſeltſame Licht
machte Alle vertrauter und ſo konnten Sali und
Vrenchen nicht umhin, ſich unter die gemeinſame
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[339/0351] ſie ſich an dem traurigen Waldhornbläſer vor¬ überdrehte, wozu dieſer immer den Kopf ab¬ wandte. Noch einige andere vergnügte Frau¬ ensleute waren da mit ihren Beſchützern, alle von dürftigem Ausſehen, aber ſie waren um ſo luſtiger und in beſter Eintracht unter einander. Als es gänzlich dunkel war, wollte der Wirth keine Lichter anzünden, da er behauptete, der Wind löſche ſie aus, auch ginge der Vollmond ſogleich auf und für das, was ihm dieſe Herr¬ ſchaften einbrächten, ſei das Mondlicht gut genug. Dieſe Eröffnung wurde mit großem Wohlgefallen aufgenommen; die ganze Geſellſchaft ſtellte ſich an die Brüſtung des luſtigen Saales und ſah dem Aufgange des Geſtirnes entgegen, deſſen Röthe ſchon am Horizonte ſtand, und ſobald der Mond aufging und ſein Licht quer durch den Eſtrich des Paradiesgärtels warf, tanzten ſie im Mondſchein weiter, und zwar ſo ſtill, artig und ſeelenvergnügt, als ob ſie im Glanze von hun¬ dert Wachskerzen tanzten. Das ſeltſame Licht machte Alle vertrauter und ſo konnten Sali und Vrenchen nicht umhin, ſich unter die gemeinſame Luſtbarkeit zu miſchen und auch mit andern zu 22 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/351>, abgerufen am 22.11.2024.