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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Mittag, wo jene Wirthin es für eine Braut
gehalten und es eine solche ohne Widerrede vor¬
gestellt, lohte ihm das Brautwesen im Blute
und je hoffnungsloser es war, um so wilder
und unbezwinglicher. Dem Sali erging es eben
so schlimm, da die Reden des Geigers, so we¬
nig er ihnen folgen mochte, dennoch seinen Kopf
verwirrten und er sagte mit rathlos stockender
Stimme: "Komm herein, wir müssen wenig¬
stens noch was essen und trinken. Sie gingen
in die Gaststube, wo Niemand mehr war, als
die kleine Gesellschaft der Heimathlosen, welche
bereits um einen Tisch saß und eine spärliche
Mahlzeit hielt. "Da kommt unser Hochzeit¬
paar!" rief der Geiger, "jetzt seid lustig und
fröhlich und laßt euch zusammengeben!" Sie
wurden an den Tisch genöthigt und flüchteten
sich vor sich selbst an denselben hin; sie waren
froh, nur für den Augenblick unter Leuten zu
sein. Sali bestellte Wein und reichlichere Spei¬
sen, und es begann eine große Fröhlichkeit. Der
Schmollende hatte sich mit der Untreuen ver¬
söhnt und das Paar liebkoste sich in begieriger
Seligkeit; das andere wilde Paar sang und

Mittag, wo jene Wirthin es für eine Braut
gehalten und es eine ſolche ohne Widerrede vor¬
geſtellt, lohte ihm das Brautweſen im Blute
und je hoffnungsloſer es war, um ſo wilder
und unbezwinglicher. Dem Sali erging es eben
ſo ſchlimm, da die Reden des Geigers, ſo we¬
nig er ihnen folgen mochte, dennoch ſeinen Kopf
verwirrten und er ſagte mit rathlos ſtockender
Stimme: »Komm herein, wir müſſen wenig¬
ſtens noch was eſſen und trinken. Sie gingen
in die Gaſtſtube, wo Niemand mehr war, als
die kleine Geſellſchaft der Heimathloſen, welche
bereits um einen Tiſch ſaß und eine ſpärliche
Mahlzeit hielt. »Da kommt unſer Hochzeit¬
paar!« rief der Geiger, »jetzt ſeid luſtig und
fröhlich und laßt euch zuſammengeben!« Sie
wurden an den Tiſch genöthigt und flüchteten
ſich vor ſich ſelbſt an denſelben hin; ſie waren
froh, nur für den Augenblick unter Leuten zu
ſein. Sali beſtellte Wein und reichlichere Spei¬
ſen, und es begann eine große Fröhlichkeit. Der
Schmollende hatte ſich mit der Untreuen ver¬
ſöhnt und das Paar liebkoſte ſich in begieriger
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[346/0358] Mittag, wo jene Wirthin es für eine Braut gehalten und es eine ſolche ohne Widerrede vor¬ geſtellt, lohte ihm das Brautweſen im Blute und je hoffnungsloſer es war, um ſo wilder und unbezwinglicher. Dem Sali erging es eben ſo ſchlimm, da die Reden des Geigers, ſo we¬ nig er ihnen folgen mochte, dennoch ſeinen Kopf verwirrten und er ſagte mit rathlos ſtockender Stimme: »Komm herein, wir müſſen wenig¬ ſtens noch was eſſen und trinken. Sie gingen in die Gaſtſtube, wo Niemand mehr war, als die kleine Geſellſchaft der Heimathloſen, welche bereits um einen Tiſch ſaß und eine ſpärliche Mahlzeit hielt. »Da kommt unſer Hochzeit¬ paar!« rief der Geiger, »jetzt ſeid luſtig und fröhlich und laßt euch zuſammengeben!« Sie wurden an den Tiſch genöthigt und flüchteten ſich vor ſich ſelbſt an denſelben hin; ſie waren froh, nur für den Augenblick unter Leuten zu ſein. Sali beſtellte Wein und reichlichere Spei¬ ſen, und es begann eine große Fröhlichkeit. Der Schmollende hatte ſich mit der Untreuen ver¬ ſöhnt und das Paar liebkoſte ſich in begieriger Seligkeit; das andere wilde Paar ſang und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/358>, abgerufen am 27.11.2024.