Mittag, wo jene Wirthin es für eine Braut gehalten und es eine solche ohne Widerrede vor¬ gestellt, lohte ihm das Brautwesen im Blute und je hoffnungsloser es war, um so wilder und unbezwinglicher. Dem Sali erging es eben so schlimm, da die Reden des Geigers, so we¬ nig er ihnen folgen mochte, dennoch seinen Kopf verwirrten und er sagte mit rathlos stockender Stimme: "Komm herein, wir müssen wenig¬ stens noch was essen und trinken. Sie gingen in die Gaststube, wo Niemand mehr war, als die kleine Gesellschaft der Heimathlosen, welche bereits um einen Tisch saß und eine spärliche Mahlzeit hielt. "Da kommt unser Hochzeit¬ paar!" rief der Geiger, "jetzt seid lustig und fröhlich und laßt euch zusammengeben!" Sie wurden an den Tisch genöthigt und flüchteten sich vor sich selbst an denselben hin; sie waren froh, nur für den Augenblick unter Leuten zu sein. Sali bestellte Wein und reichlichere Spei¬ sen, und es begann eine große Fröhlichkeit. Der Schmollende hatte sich mit der Untreuen ver¬ söhnt und das Paar liebkoste sich in begieriger Seligkeit; das andere wilde Paar sang und
Mittag, wo jene Wirthin es für eine Braut gehalten und es eine ſolche ohne Widerrede vor¬ geſtellt, lohte ihm das Brautweſen im Blute und je hoffnungsloſer es war, um ſo wilder und unbezwinglicher. Dem Sali erging es eben ſo ſchlimm, da die Reden des Geigers, ſo we¬ nig er ihnen folgen mochte, dennoch ſeinen Kopf verwirrten und er ſagte mit rathlos ſtockender Stimme: »Komm herein, wir müſſen wenig¬ ſtens noch was eſſen und trinken. Sie gingen in die Gaſtſtube, wo Niemand mehr war, als die kleine Geſellſchaft der Heimathloſen, welche bereits um einen Tiſch ſaß und eine ſpärliche Mahlzeit hielt. »Da kommt unſer Hochzeit¬ paar!« rief der Geiger, »jetzt ſeid luſtig und fröhlich und laßt euch zuſammengeben!« Sie wurden an den Tiſch genöthigt und flüchteten ſich vor ſich ſelbſt an denſelben hin; ſie waren froh, nur für den Augenblick unter Leuten zu ſein. Sali beſtellte Wein und reichlichere Spei¬ ſen, und es begann eine große Fröhlichkeit. Der Schmollende hatte ſich mit der Untreuen ver¬ ſöhnt und das Paar liebkoſte ſich in begieriger Seligkeit; das andere wilde Paar ſang und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0358"n="346"/>
Mittag, wo jene Wirthin es für eine Braut<lb/>
gehalten und es eine ſolche ohne Widerrede vor¬<lb/>
geſtellt, lohte ihm das Brautweſen im Blute<lb/>
und je hoffnungsloſer es war, um ſo wilder<lb/>
und unbezwinglicher. Dem Sali erging es eben<lb/>ſo ſchlimm, da die Reden des Geigers, ſo we¬<lb/>
nig er ihnen folgen mochte, dennoch ſeinen Kopf<lb/>
verwirrten und er ſagte mit rathlos ſtockender<lb/>
Stimme: »Komm herein, wir müſſen wenig¬<lb/>ſtens noch was eſſen und trinken. Sie gingen<lb/>
in die Gaſtſtube, wo Niemand mehr war, als<lb/>
die kleine Geſellſchaft der Heimathloſen, welche<lb/>
bereits um einen Tiſch ſaß und eine ſpärliche<lb/>
Mahlzeit hielt. »Da kommt unſer Hochzeit¬<lb/>
paar!« rief der Geiger, »jetzt ſeid luſtig und<lb/>
fröhlich und laßt euch zuſammengeben!« Sie<lb/>
wurden an den Tiſch genöthigt und flüchteten<lb/>ſich vor ſich ſelbſt an denſelben hin; ſie waren<lb/>
froh, nur für den Augenblick unter Leuten zu<lb/>ſein. Sali beſtellte Wein und reichlichere Spei¬<lb/>ſen, und es begann eine große Fröhlichkeit. Der<lb/>
Schmollende hatte ſich mit der Untreuen ver¬<lb/>ſöhnt und das Paar liebkoſte ſich in begieriger<lb/>
Seligkeit; das andere wilde Paar ſang und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[346/0358]
Mittag, wo jene Wirthin es für eine Braut
gehalten und es eine ſolche ohne Widerrede vor¬
geſtellt, lohte ihm das Brautweſen im Blute
und je hoffnungsloſer es war, um ſo wilder
und unbezwinglicher. Dem Sali erging es eben
ſo ſchlimm, da die Reden des Geigers, ſo we¬
nig er ihnen folgen mochte, dennoch ſeinen Kopf
verwirrten und er ſagte mit rathlos ſtockender
Stimme: »Komm herein, wir müſſen wenig¬
ſtens noch was eſſen und trinken. Sie gingen
in die Gaſtſtube, wo Niemand mehr war, als
die kleine Geſellſchaft der Heimathloſen, welche
bereits um einen Tiſch ſaß und eine ſpärliche
Mahlzeit hielt. »Da kommt unſer Hochzeit¬
paar!« rief der Geiger, »jetzt ſeid luſtig und
fröhlich und laßt euch zuſammengeben!« Sie
wurden an den Tiſch genöthigt und flüchteten
ſich vor ſich ſelbſt an denſelben hin; ſie waren
froh, nur für den Augenblick unter Leuten zu
ſein. Sali beſtellte Wein und reichlichere Spei¬
ſen, und es begann eine große Fröhlichkeit. Der
Schmollende hatte ſich mit der Untreuen ver¬
ſöhnt und das Paar liebkoſte ſich in begieriger
Seligkeit; das andere wilde Paar ſang und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/358>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.