Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ich glaube, wir hören unser eigenes Blut
in unsern Ohren rauschen!"

Sie horchten ein Weilchen auf diese ein¬
gebildeten oder wirklichen Töne, welche von der
großen Stille herrührten oder welche sie mit
den magischen Wirkungen des Mondlichtes ver¬
wechselten, welches nah und fern über die
grauen Herbstnebel wallte, welche tief auf den
Gründen lagen. Plötzlich fiel Vrenchen etwas
ein; es suchte in seinem Brustgewand und sagte:
"Ich habe Dir noch ein Andenken gekauft,
das ich Dir geben wollte!" Und es gab ihm
den einfachen Ring und steckte ihm denselben
selbst an den Finger. Sali nahm sein Ringlein
auch hervor und steckte ihn an Vrenchens Hand,
indem er sagte: So haben wir die gleichen Ge¬
danken gehabt! Vrenchen hielt seine Hand in
das bleiche Silberlicht und betrachtete den Ring.
"Ei, wie ein feiner Ring!" sagte es lachend;
"nun sind wir aber doch verlobt und versprochen,
Du bist mein Mann und ich Deine Frau, wir
wollen es einmal einen Augenblick lang denken,
nur bis jener Nebelstreif am Mond vorüber ist

»Ich glaube, wir hören unſer eigenes Blut
in unſern Ohren rauſchen!«

Sie horchten ein Weilchen auf dieſe ein¬
gebildeten oder wirklichen Töne, welche von der
großen Stille herrührten oder welche ſie mit
den magiſchen Wirkungen des Mondlichtes ver¬
wechſelten, welches nah und fern über die
grauen Herbſtnebel wallte, welche tief auf den
Gründen lagen. Plötzlich fiel Vrenchen etwas
ein; es ſuchte in ſeinem Bruſtgewand und ſagte:
»Ich habe Dir noch ein Andenken gekauft,
das ich Dir geben wollte!« Und es gab ihm
den einfachen Ring und ſteckte ihm denſelben
ſelbſt an den Finger. Sali nahm ſein Ringlein
auch hervor und ſteckte ihn an Vrenchens Hand,
indem er ſagte: So haben wir die gleichen Ge¬
danken gehabt! Vrenchen hielt ſeine Hand in
das bleiche Silberlicht und betrachtete den Ring.
»Ei, wie ein feiner Ring!« ſagte es lachend;
»nun ſind wir aber doch verlobt und verſprochen,
Du biſt mein Mann und ich Deine Frau, wir
wollen es einmal einen Augenblick lang denken,
nur bis jener Nebelſtreif am Mond vorüber iſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0363" n="351"/>
        <p>»Ich glaube, wir hören un&#x017F;er eigenes Blut<lb/>
in un&#x017F;ern Ohren rau&#x017F;chen!«</p><lb/>
        <p>Sie horchten ein Weilchen auf die&#x017F;e ein¬<lb/>
gebildeten oder wirklichen Töne, welche von der<lb/>
großen Stille herrührten oder welche &#x017F;ie mit<lb/>
den magi&#x017F;chen Wirkungen des Mondlichtes ver¬<lb/>
wech&#x017F;elten, welches nah und fern über die<lb/>
grauen Herb&#x017F;tnebel wallte, welche tief auf den<lb/>
Gründen lagen. Plötzlich fiel Vrenchen etwas<lb/>
ein; es &#x017F;uchte in &#x017F;einem Bru&#x017F;tgewand und &#x017F;agte:<lb/>
»Ich habe Dir noch ein Andenken gekauft,<lb/>
das ich Dir geben wollte!« Und es gab ihm<lb/>
den einfachen Ring und &#x017F;teckte ihm den&#x017F;elben<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t an den Finger. Sali nahm &#x017F;ein Ringlein<lb/>
auch hervor und &#x017F;teckte ihn an Vrenchens Hand,<lb/>
indem er &#x017F;agte: So haben wir die gleichen Ge¬<lb/>
danken gehabt! Vrenchen hielt &#x017F;eine Hand in<lb/>
das bleiche Silberlicht und betrachtete den Ring.<lb/>
»Ei, wie ein feiner Ring!« &#x017F;agte es lachend;<lb/>
»nun &#x017F;ind wir aber doch verlobt und ver&#x017F;prochen,<lb/>
Du bi&#x017F;t mein Mann und ich Deine Frau, wir<lb/>
wollen es einmal einen Augenblick lang denken,<lb/>
nur bis jener Nebel&#x017F;treif am Mond vorüber i&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[351/0363] »Ich glaube, wir hören unſer eigenes Blut in unſern Ohren rauſchen!« Sie horchten ein Weilchen auf dieſe ein¬ gebildeten oder wirklichen Töne, welche von der großen Stille herrührten oder welche ſie mit den magiſchen Wirkungen des Mondlichtes ver¬ wechſelten, welches nah und fern über die grauen Herbſtnebel wallte, welche tief auf den Gründen lagen. Plötzlich fiel Vrenchen etwas ein; es ſuchte in ſeinem Bruſtgewand und ſagte: »Ich habe Dir noch ein Andenken gekauft, das ich Dir geben wollte!« Und es gab ihm den einfachen Ring und ſteckte ihm denſelben ſelbſt an den Finger. Sali nahm ſein Ringlein auch hervor und ſteckte ihn an Vrenchens Hand, indem er ſagte: So haben wir die gleichen Ge¬ danken gehabt! Vrenchen hielt ſeine Hand in das bleiche Silberlicht und betrachtete den Ring. »Ei, wie ein feiner Ring!« ſagte es lachend; »nun ſind wir aber doch verlobt und verſprochen, Du biſt mein Mann und ich Deine Frau, wir wollen es einmal einen Augenblick lang denken, nur bis jener Nebelſtreif am Mond vorüber iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/363
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/363>, abgerufen am 27.11.2024.