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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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wiegter Mensch sein, wenn er nicht irgend etwas
heimliches, sehr vortheilhaftes vorhatte? Nun
suchten sie sich gegenseitig die Würmer aus der
Nase zu ziehen, mit der größten Vorsicht und
Friedfertigkeit, in halben Worten und auf an¬
muthigen Umwegen. Keiner gab eine vernünftige
klare Antwort und doch wußte nach Verlauf
einiger Stunden jeder, daß der Andere nichts
mehr oder minder, als sein vollkommner Doppel¬
gänger sei. Als im Lauf des Tages Fridolin
der Baier mehrmals nach der Kammer lief und
sich dort zu schaffen machte, nahm Jobst die
Gelegenheit wahr, auch einmal hinzuschleichen,
als jener bei der Arbeit saß, und durchmusterte
im Fluge die Habseligkeiten Fridolins; er ent¬
deckte aber nichts weiter, als fast die gleichen
Siebensächelchen, die er selbst besaß, bis auf die
hölzerne Nadelbüchse, welche aber hier einen Fisch
vorstellte, während Jobst scherzhafter Weise ein
kleines Wickelkindchen besaß, und statt einer zer¬
rissenen französischen Sprachlehre für das Volk,
welche Jobst bisweilen durchblätterte, war bei
dem Baier ein gut gebundenes Büchlein zu fin¬
den, betitelt: Die kalte und warme Küpe, ein

wiegter Menſch ſein, wenn er nicht irgend etwas
heimliches, ſehr vortheilhaftes vorhatte? Nun
ſuchten ſie ſich gegenſeitig die Würmer aus der
Naſe zu ziehen, mit der größten Vorſicht und
Friedfertigkeit, in halben Worten und auf an¬
muthigen Umwegen. Keiner gab eine vernünftige
klare Antwort und doch wußte nach Verlauf
einiger Stunden jeder, daß der Andere nichts
mehr oder minder, als ſein vollkommner Doppel¬
gänger ſei. Als im Lauf des Tages Fridolin
der Baier mehrmals nach der Kammer lief und
ſich dort zu ſchaffen machte, nahm Jobſt die
Gelegenheit wahr, auch einmal hinzuſchleichen,
als jener bei der Arbeit ſaß, und durchmuſterte
im Fluge die Habſeligkeiten Fridolins; er ent¬
deckte aber nichts weiter, als faſt die gleichen
Siebenſächelchen, die er ſelbſt beſaß, bis auf die
hölzerne Nadelbüchſe, welche aber hier einen Fiſch
vorſtellte, während Jobſt ſcherzhafter Weiſe ein
kleines Wickelkindchen beſaß, und ſtatt einer zer¬
riſſenen franzöſiſchen Sprachlehre für das Volk,
welche Jobſt bisweilen durchblätterte, war bei
dem Baier ein gut gebundenes Büchlein zu fin¬
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[377/0389] wiegter Menſch ſein, wenn er nicht irgend etwas heimliches, ſehr vortheilhaftes vorhatte? Nun ſuchten ſie ſich gegenſeitig die Würmer aus der Naſe zu ziehen, mit der größten Vorſicht und Friedfertigkeit, in halben Worten und auf an¬ muthigen Umwegen. Keiner gab eine vernünftige klare Antwort und doch wußte nach Verlauf einiger Stunden jeder, daß der Andere nichts mehr oder minder, als ſein vollkommner Doppel¬ gänger ſei. Als im Lauf des Tages Fridolin der Baier mehrmals nach der Kammer lief und ſich dort zu ſchaffen machte, nahm Jobſt die Gelegenheit wahr, auch einmal hinzuſchleichen, als jener bei der Arbeit ſaß, und durchmuſterte im Fluge die Habſeligkeiten Fridolins; er ent¬ deckte aber nichts weiter, als faſt die gleichen Siebenſächelchen, die er ſelbſt beſaß, bis auf die hölzerne Nadelbüchſe, welche aber hier einen Fiſch vorſtellte, während Jobſt ſcherzhafter Weiſe ein kleines Wickelkindchen beſaß, und ſtatt einer zer¬ riſſenen franzöſiſchen Sprachlehre für das Volk, welche Jobſt bisweilen durchblätterte, war bei dem Baier ein gut gebundenes Büchlein zu fin¬ den, betitelt: Die kalte und warme Küpe, ein

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/389>, abgerufen am 28.11.2024.