Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

er nie zu denken, weil er unter einer Frau nichts
anderes denken konnte, als ein Wesen, das et¬
was von ihm wollte, was er nicht schuldig sei,
und etwas von Einer selbst zu wollen, was ihm
nützlich sein könnte, fiel ihm auch nicht ein, da
er nur sich selbst vertraute und seine kurzen Ge¬
danken nicht über den nächsten und allerengsten
Kreis seines Geheimnisses hinausgingen. Aber
jetzt galt es, dem Schwäbchen den Rang abzu¬
laufen, denn dieses konnte mit den siebenhun¬
dert Gulden der Jungfer Züs schlimme Geschich¬
ten aufstellen, wenn es sie erhielt, und die sie¬
benhundert Gulden selbst bekamen auf einmal
einen verklärten Glanz und Schimmer in den
Augen des Sachsen wie des Baiers. So hatte
Dietrich, der erfindungsreiche, nur ein Land ent¬
deckt, welches alsobald Gemeingut wurde und
theilte das herbe Schicksal aller Entdecker; denn
die zwei andern folgten sogleich seiner Fährte
und stellten sich ebenfalls bei Züs Bünzlin auf,
und diese sah sich von einem ganzen Hof ver¬
ständiger und ehrbarer Kammmacher umgeben.
Das gefiel ihr ausnehmend wohl; noch nie hatte
sie mehrere Verehrer auf einmal besessen, wes¬

er nie zu denken, weil er unter einer Frau nichts
anderes denken konnte, als ein Weſen, das et¬
was von ihm wollte, was er nicht ſchuldig ſei,
und etwas von Einer ſelbſt zu wollen, was ihm
nützlich ſein könnte, fiel ihm auch nicht ein, da
er nur ſich ſelbſt vertraute und ſeine kurzen Ge¬
danken nicht über den nächſten und allerengſten
Kreis ſeines Geheimniſſes hinausgingen. Aber
jetzt galt es, dem Schwäbchen den Rang abzu¬
laufen, denn dieſes konnte mit den ſiebenhun¬
dert Gulden der Jungfer Züs ſchlimme Geſchich¬
ten aufſtellen, wenn es ſie erhielt, und die ſie¬
benhundert Gulden ſelbſt bekamen auf einmal
einen verklärten Glanz und Schimmer in den
Augen des Sachſen wie des Baiers. So hatte
Dietrich, der erfindungsreiche, nur ein Land ent¬
deckt, welches alſobald Gemeingut wurde und
theilte das herbe Schickſal aller Entdecker; denn
die zwei andern folgten ſogleich ſeiner Fährte
und ſtellten ſich ebenfalls bei Züs Bünzlin auf,
und dieſe ſah ſich von einem ganzen Hof ver¬
ſtändiger und ehrbarer Kammmacher umgeben.
Das gefiel ihr ausnehmend wohl; noch nie hatte
ſie mehrere Verehrer auf einmal beſeſſen, wes¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0409" n="397"/>
er nie zu denken, weil er unter einer Frau nichts<lb/>
anderes denken konnte, als ein We&#x017F;en, das et¬<lb/>
was von ihm wollte, was er nicht &#x017F;chuldig &#x017F;ei,<lb/>
und etwas von Einer &#x017F;elb&#x017F;t zu wollen, was ihm<lb/>
nützlich &#x017F;ein könnte, fiel ihm auch nicht ein, da<lb/>
er nur &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t vertraute und &#x017F;eine kurzen Ge¬<lb/>
danken nicht über den näch&#x017F;ten und allereng&#x017F;ten<lb/>
Kreis &#x017F;eines Geheimni&#x017F;&#x017F;es hinausgingen. Aber<lb/>
jetzt galt es, dem Schwäbchen den Rang abzu¬<lb/>
laufen, denn die&#x017F;es konnte mit den &#x017F;iebenhun¬<lb/>
dert Gulden der Jungfer Züs &#x017F;chlimme Ge&#x017F;chich¬<lb/>
ten auf&#x017F;tellen, wenn es &#x017F;ie erhielt, und die &#x017F;ie¬<lb/>
benhundert Gulden &#x017F;elb&#x017F;t bekamen auf einmal<lb/>
einen verklärten Glanz und Schimmer in den<lb/>
Augen des Sach&#x017F;en wie des Baiers. So hatte<lb/>
Dietrich, der erfindungsreiche, nur ein Land ent¬<lb/>
deckt, welches al&#x017F;obald Gemeingut wurde und<lb/>
theilte das herbe Schick&#x017F;al aller Entdecker; denn<lb/>
die zwei andern folgten &#x017F;ogleich &#x017F;einer Fährte<lb/>
und &#x017F;tellten &#x017F;ich ebenfalls bei Züs Bünzlin auf,<lb/>
und die&#x017F;e &#x017F;ah &#x017F;ich von einem ganzen Hof ver¬<lb/>
&#x017F;tändiger und ehrbarer Kammmacher umgeben.<lb/>
Das gefiel ihr ausnehmend wohl; noch nie hatte<lb/>
&#x017F;ie mehrere Verehrer auf einmal be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en, wes¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0409] er nie zu denken, weil er unter einer Frau nichts anderes denken konnte, als ein Weſen, das et¬ was von ihm wollte, was er nicht ſchuldig ſei, und etwas von Einer ſelbſt zu wollen, was ihm nützlich ſein könnte, fiel ihm auch nicht ein, da er nur ſich ſelbſt vertraute und ſeine kurzen Ge¬ danken nicht über den nächſten und allerengſten Kreis ſeines Geheimniſſes hinausgingen. Aber jetzt galt es, dem Schwäbchen den Rang abzu¬ laufen, denn dieſes konnte mit den ſiebenhun¬ dert Gulden der Jungfer Züs ſchlimme Geſchich¬ ten aufſtellen, wenn es ſie erhielt, und die ſie¬ benhundert Gulden ſelbſt bekamen auf einmal einen verklärten Glanz und Schimmer in den Augen des Sachſen wie des Baiers. So hatte Dietrich, der erfindungsreiche, nur ein Land ent¬ deckt, welches alſobald Gemeingut wurde und theilte das herbe Schickſal aller Entdecker; denn die zwei andern folgten ſogleich ſeiner Fährte und ſtellten ſich ebenfalls bei Züs Bünzlin auf, und dieſe ſah ſich von einem ganzen Hof ver¬ ſtändiger und ehrbarer Kammmacher umgeben. Das gefiel ihr ausnehmend wohl; noch nie hatte ſie mehrere Verehrer auf einmal beſeſſen, wes¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/409
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/409>, abgerufen am 26.11.2024.