der Sparsamkeit, der Friedfertigkeit und der in¬ nigen Freundschaft. Wie viele Blumen stehen hier um uns herum, von allen Arten, die der Frühling hervorbringt, besonders die gelben Schlüs¬ selblumen, welche einen wohlschmeckenden und gesunden Thee geben; aber sind sie gerecht oder arbeitsam? sparsam, vorsichtig und geschickt zu klugen und lehrreichen Gedanken? Nein, es sind unwissende und geistlose Geschöpfe, unbeseelt und vernunftlos vergeuden sie ihre Zeit, und so schön sie sind, wird ein todtes Heu daraus, während wir in unserer Tugend ihnen so weit überlegen sind und ihnen wahrlich an Zier der Gestalt nichts nachgeben; denn Gott hat uns nach seinem Bilde geschaffen und uns seinen göttlichen Odem eingeblasen. O, könnten wir doch ewig hier so sitzen in diesem Paradiese und in solcher Unschuld; ja, meine Freunde, es ist mir so, als wären wir sämmtlich im Stande der Unschuld, aber durch eine sündenlose Erkenntniß veredelt; denn wir alle können, Gott sei Dank, lesen und schreiben und haben alle eine geschickte Handtierung gelernt. Zu vielem hätte ich Geschick und Anlagen und getraute mir wohl, Dinge zu verrichten, wie sie
der Sparſamkeit, der Friedfertigkeit und der in¬ nigen Freundſchaft. Wie viele Blumen ſtehen hier um uns herum, von allen Arten, die der Frühling hervorbringt, beſonders die gelben Schlüſ¬ ſelblumen, welche einen wohlſchmeckenden und geſunden Thee geben; aber ſind ſie gerecht oder arbeitſam? ſparſam, vorſichtig und geſchickt zu klugen und lehrreichen Gedanken? Nein, es ſind unwiſſende und geiſtloſe Geſchöpfe, unbeſeelt und vernunftlos vergeuden ſie ihre Zeit, und ſo ſchön ſie ſind, wird ein todtes Heu daraus, während wir in unſerer Tugend ihnen ſo weit überlegen ſind und ihnen wahrlich an Zier der Geſtalt nichts nachgeben; denn Gott hat uns nach ſeinem Bilde geſchaffen und uns ſeinen göttlichen Odem eingeblaſen. O, könnten wir doch ewig hier ſo ſitzen in dieſem Paradieſe und in ſolcher Unſchuld; ja, meine Freunde, es iſt mir ſo, als wären wir ſämmtlich im Stande der Unſchuld, aber durch eine ſündenloſe Erkenntniß veredelt; denn wir alle können, Gott ſei Dank, leſen und ſchreiben und haben alle eine geſchickte Handtierung gelernt. Zu vielem hätte ich Geſchick und Anlagen und getraute mir wohl, Dinge zu verrichten, wie ſie
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0430"n="418"/>
der Sparſamkeit, der Friedfertigkeit und der in¬<lb/>
nigen Freundſchaft. Wie viele Blumen ſtehen<lb/>
hier um uns herum, von allen Arten, die der<lb/>
Frühling hervorbringt, beſonders die gelben Schlüſ¬<lb/>ſelblumen, welche einen wohlſchmeckenden und<lb/>
geſunden Thee geben; aber ſind ſie gerecht oder<lb/>
arbeitſam? ſparſam, vorſichtig und geſchickt zu<lb/>
klugen und lehrreichen Gedanken? Nein, es ſind<lb/>
unwiſſende und geiſtloſe Geſchöpfe, unbeſeelt und<lb/>
vernunftlos vergeuden ſie ihre Zeit, und ſo ſchön<lb/>ſie ſind, wird ein todtes Heu daraus, während<lb/>
wir in unſerer Tugend ihnen ſo weit überlegen<lb/>ſind und ihnen wahrlich an Zier der Geſtalt<lb/>
nichts nachgeben; denn Gott hat uns nach ſeinem<lb/>
Bilde geſchaffen und uns ſeinen göttlichen Odem<lb/>
eingeblaſen. O, könnten wir doch ewig hier ſo<lb/>ſitzen in dieſem Paradieſe und in ſolcher Unſchuld;<lb/>
ja, meine Freunde, es iſt mir ſo, als wären wir<lb/>ſämmtlich im Stande der Unſchuld, aber durch<lb/>
eine ſündenloſe Erkenntniß veredelt; denn wir<lb/>
alle können, Gott ſei Dank, leſen und ſchreiben<lb/>
und haben alle eine geſchickte Handtierung gelernt.<lb/>
Zu vielem hätte ich Geſchick und Anlagen und<lb/>
getraute mir wohl, Dinge zu verrichten, wie ſie<lb/></p></div></body></text></TEI>
[418/0430]
der Sparſamkeit, der Friedfertigkeit und der in¬
nigen Freundſchaft. Wie viele Blumen ſtehen
hier um uns herum, von allen Arten, die der
Frühling hervorbringt, beſonders die gelben Schlüſ¬
ſelblumen, welche einen wohlſchmeckenden und
geſunden Thee geben; aber ſind ſie gerecht oder
arbeitſam? ſparſam, vorſichtig und geſchickt zu
klugen und lehrreichen Gedanken? Nein, es ſind
unwiſſende und geiſtloſe Geſchöpfe, unbeſeelt und
vernunftlos vergeuden ſie ihre Zeit, und ſo ſchön
ſie ſind, wird ein todtes Heu daraus, während
wir in unſerer Tugend ihnen ſo weit überlegen
ſind und ihnen wahrlich an Zier der Geſtalt
nichts nachgeben; denn Gott hat uns nach ſeinem
Bilde geſchaffen und uns ſeinen göttlichen Odem
eingeblaſen. O, könnten wir doch ewig hier ſo
ſitzen in dieſem Paradieſe und in ſolcher Unſchuld;
ja, meine Freunde, es iſt mir ſo, als wären wir
ſämmtlich im Stande der Unſchuld, aber durch
eine ſündenloſe Erkenntniß veredelt; denn wir
alle können, Gott ſei Dank, leſen und ſchreiben
und haben alle eine geſchickte Handtierung gelernt.
Zu vielem hätte ich Geſchick und Anlagen und
getraute mir wohl, Dinge zu verrichten, wie ſie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/430>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.