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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Beinen, welche bislang nur in bedachtem ehr¬
barem Schritt gewandelt! Keiner wußte sich
mehr zu entsinnen, daß er je einmal gesprungen
oder gelaufen wäre; am ehesten schien sich noch
der Schwabe zu trauen und mit den Füßen so¬
gar leise zu scharren und dieselben ungeduldig
zu heben. Sie sahen sich ganz sonderbar und
verdächtig an, waren bleich und schwitzten dabei,
als ob sie schon im heftigsten Laufen begriffen
wären.

"Gebet euch, sagte Züs, noch einmal die
Hand!" Sie thaten es, aber so willenlos und
lässig, daß die drei Hände kalt von einander
abglitten und abfielen wie Bleihände. "Sollen
wir denn wirklich das Thorenwerk beginnen?"
sagte Jobst und wischte sich die Augen, welche
anfingen zu träufeln. "Ja, versetzte der Baier,
sollen wir wirklich laufen und springen?" und
begann zu weinen. "Und Sie, allerliebste Jungfer
Bünzlin?" sagte Jobst heulend, "wie werden
Sie sich denn verhalten?" "Mir geziemt,"
antwortete sie und hielt sich das Schnupftuch
vor die Augen, "mir geziemt zu schweigen, zu
leiden und zuzusehen!" Der Schwabe sagte

Keller, die Leute von Seldwyla 28

Beinen, welche bislang nur in bedachtem ehr¬
barem Schritt gewandelt! Keiner wußte ſich
mehr zu entſinnen, daß er je einmal geſprungen
oder gelaufen wäre; am eheſten ſchien ſich noch
der Schwabe zu trauen und mit den Füßen ſo¬
gar leiſe zu ſcharren und dieſelben ungeduldig
zu heben. Sie ſahen ſich ganz ſonderbar und
verdächtig an, waren bleich und ſchwitzten dabei,
als ob ſie ſchon im heftigſten Laufen begriffen
wären.

»Gebet euch, ſagte Züs, noch einmal die
Hand!« Sie thaten es, aber ſo willenlos und
läſſig, daß die drei Hände kalt von einander
abglitten und abfielen wie Bleihände. »Sollen
wir denn wirklich das Thorenwerk beginnen?«
ſagte Jobſt und wiſchte ſich die Augen, welche
anfingen zu träufeln. »Ja, verſetzte der Baier,
ſollen wir wirklich laufen und ſpringen?« und
begann zu weinen. »Und Sie, allerliebſte Jungfer
Bünzlin?« ſagte Jobſt heulend, »wie werden
Sie ſich denn verhalten?« »Mir geziemt,«
antwortete ſie und hielt ſich das Schnupftuch
vor die Augen, »mir geziemt zu ſchweigen, zu
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[433/0445] Beinen, welche bislang nur in bedachtem ehr¬ barem Schritt gewandelt! Keiner wußte ſich mehr zu entſinnen, daß er je einmal geſprungen oder gelaufen wäre; am eheſten ſchien ſich noch der Schwabe zu trauen und mit den Füßen ſo¬ gar leiſe zu ſcharren und dieſelben ungeduldig zu heben. Sie ſahen ſich ganz ſonderbar und verdächtig an, waren bleich und ſchwitzten dabei, als ob ſie ſchon im heftigſten Laufen begriffen wären. »Gebet euch, ſagte Züs, noch einmal die Hand!« Sie thaten es, aber ſo willenlos und läſſig, daß die drei Hände kalt von einander abglitten und abfielen wie Bleihände. »Sollen wir denn wirklich das Thorenwerk beginnen?« ſagte Jobſt und wiſchte ſich die Augen, welche anfingen zu träufeln. »Ja, verſetzte der Baier, ſollen wir wirklich laufen und ſpringen?« und begann zu weinen. »Und Sie, allerliebſte Jungfer Bünzlin?« ſagte Jobſt heulend, »wie werden Sie ſich denn verhalten?« »Mir geziemt,« antwortete ſie und hielt ſich das Schnupftuch vor die Augen, »mir geziemt zu ſchweigen, zu leiden und zuzuſehen!« Der Schwabe ſagte Keller, die Leute von Seldwyla 28

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/445>, abgerufen am 23.11.2024.