Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

ihre Kinder, und von dem guten Weine
erwärmt, den sie mit Zufriedenheit genossen,
verlangte sie endlich mit ihrer noch viel unge¬
duldigeren Tochter etwas Näheres von Pankra¬
zens Schicksal zu wissen.

"Ausführlich, erwiederte dieser, kann ich jetzt
meine trübselige Geschichte nicht mehr beginnen
und es findet sich wohl die Zeit, wo ich Euch
nach und nach meine Erlebnisse im Einzelnen
vorsagen werde. Für heute will ich Euch aber
nur einige Umrisse angeben, so viel als nöthig
ist, um auf den Schluß zu kommen, nämlich
auf meine Wiederkehr und die Art, wie diese
veranlaßt wurde, da sie eigentlich das rechte
Seitenstück bildet zu meiner ehemaligen Flucht
und aus dem gleichen Grundtone geht. Als ich
damals auf so schnöde Weise entwich, war ich
von einem unvertilgbaren Groll und Weh er¬
füllt; doch nicht gegen Euch, sondern gegen mich
selbst, gegen diese Gegend hier, diese unnütze
Stadt, gegen meine ganze Jugend. Dies ist
mir seither erst deutlich geworden. Wenn ich
hauptsächlich immer des Essens wegen bös wurde
und schmollte, so war der geheime Grund hier¬

ihre Kinder, und von dem guten Weine
erwärmt, den ſie mit Zufriedenheit genoſſen,
verlangte ſie endlich mit ihrer noch viel unge¬
duldigeren Tochter etwas Näheres von Pankra¬
zens Schickſal zu wiſſen.

»Ausführlich, erwiederte dieſer, kann ich jetzt
meine trübſelige Geſchichte nicht mehr beginnen
und es findet ſich wohl die Zeit, wo ich Euch
nach und nach meine Erlebniſſe im Einzelnen
vorſagen werde. Für heute will ich Euch aber
nur einige Umriſſe angeben, ſo viel als nöthig
iſt, um auf den Schluß zu kommen, nämlich
auf meine Wiederkehr und die Art, wie dieſe
veranlaßt wurde, da ſie eigentlich das rechte
Seitenſtück bildet zu meiner ehemaligen Flucht
und aus dem gleichen Grundtone geht. Als ich
damals auf ſo ſchnöde Weiſe entwich, war ich
von einem unvertilgbaren Groll und Weh er¬
füllt; doch nicht gegen Euch, ſondern gegen mich
ſelbſt, gegen dieſe Gegend hier, dieſe unnütze
Stadt, gegen meine ganze Jugend. Dies iſt
mir ſeither erſt deutlich geworden. Wenn ich
hauptſächlich immer des Eſſens wegen bös wurde
und ſchmollte, ſo war der geheime Grund hier¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="34"/>
ihre Kinder, und von dem guten Weine<lb/>
erwärmt, den &#x017F;ie mit Zufriedenheit geno&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
verlangte &#x017F;ie endlich mit ihrer noch viel unge¬<lb/>
duldigeren Tochter etwas Näheres von Pankra¬<lb/>
zens Schick&#x017F;al zu wi&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>»Ausführlich, erwiederte die&#x017F;er, kann ich jetzt<lb/>
meine trüb&#x017F;elige Ge&#x017F;chichte nicht mehr beginnen<lb/>
und es findet &#x017F;ich wohl die Zeit, wo ich Euch<lb/>
nach und nach meine Erlebni&#x017F;&#x017F;e im Einzelnen<lb/>
vor&#x017F;agen werde. Für heute will ich Euch aber<lb/>
nur einige Umri&#x017F;&#x017F;e angeben, &#x017F;o viel als nöthig<lb/>
i&#x017F;t, um auf den Schluß zu kommen, nämlich<lb/>
auf meine Wiederkehr und die Art, wie die&#x017F;e<lb/>
veranlaßt wurde, da &#x017F;ie eigentlich das rechte<lb/>
Seiten&#x017F;tück bildet zu meiner ehemaligen Flucht<lb/>
und aus dem gleichen Grundtone geht. Als ich<lb/>
damals auf &#x017F;o &#x017F;chnöde Wei&#x017F;e entwich, war ich<lb/>
von einem unvertilgbaren Groll und Weh er¬<lb/>
füllt; doch nicht gegen Euch, &#x017F;ondern gegen mich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, gegen die&#x017F;e Gegend hier, die&#x017F;e unnütze<lb/>
Stadt, gegen meine ganze Jugend. Dies i&#x017F;t<lb/>
mir &#x017F;either er&#x017F;t deutlich geworden. Wenn ich<lb/>
haupt&#x017F;ächlich immer des E&#x017F;&#x017F;ens wegen bös wurde<lb/>
und &#x017F;chmollte, &#x017F;o war der geheime Grund hier¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0046] ihre Kinder, und von dem guten Weine erwärmt, den ſie mit Zufriedenheit genoſſen, verlangte ſie endlich mit ihrer noch viel unge¬ duldigeren Tochter etwas Näheres von Pankra¬ zens Schickſal zu wiſſen. »Ausführlich, erwiederte dieſer, kann ich jetzt meine trübſelige Geſchichte nicht mehr beginnen und es findet ſich wohl die Zeit, wo ich Euch nach und nach meine Erlebniſſe im Einzelnen vorſagen werde. Für heute will ich Euch aber nur einige Umriſſe angeben, ſo viel als nöthig iſt, um auf den Schluß zu kommen, nämlich auf meine Wiederkehr und die Art, wie dieſe veranlaßt wurde, da ſie eigentlich das rechte Seitenſtück bildet zu meiner ehemaligen Flucht und aus dem gleichen Grundtone geht. Als ich damals auf ſo ſchnöde Weiſe entwich, war ich von einem unvertilgbaren Groll und Weh er¬ füllt; doch nicht gegen Euch, ſondern gegen mich ſelbſt, gegen dieſe Gegend hier, dieſe unnütze Stadt, gegen meine ganze Jugend. Dies iſt mir ſeither erſt deutlich geworden. Wenn ich hauptſächlich immer des Eſſens wegen bös wurde und ſchmollte, ſo war der geheime Grund hier¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/46
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/46>, abgerufen am 03.12.2024.