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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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wie er es wünscht, kurz, sie thut tausend Dinge,
die nicht zu verwerfen sind. Sie hält sich ihm
ganz nah zu oder in bescheidener Entfernung, je
nach seiner Stimmung, und wenn er seinen Ge¬
schäften nachgeht, so stört sie ihn nicht, sondern
verbreitet unterdessen sein Lob in und außer dem
Hause; denn sie läßt nichts an ihn kommen
und rühmt Alles, was an ihm ist! Aber das
Anmuthigste ist die wunderbare Beschaffenheit
ihres zarten leiblichen Daseins, welches die Na¬
tur so verschieden gemacht hat von unserm We¬
sen bei anscheinender Menschenähnlichkeit, daß
es ein fortwährendes Meerwunder in einer glück¬
haften Ehe bewirkt und eigentlich die allerdurch¬
triebenste Hexerei in sich birgt! Doch was schwatze
ich da wie ein Thor an der Schwelle des To¬
des! Wie wird ein weiser Mann auf dergleichen
Eitelkeiten sein Augenmerk richten! Verzeiht, Herr
Pineiß, und schneidet mir den Kopf ab!"

Pineiß aber rief heftig: "So halt doch end¬
lich inne, Du Schwätzer! und sage mir: Wo
ist eine Solche und hat sie zehntausend Gold¬
gülden?"

"Zehntausend Goldgülden?" sagte Spiegel.

wie er es wünſcht, kurz, ſie thut tauſend Dinge,
die nicht zu verwerfen ſind. Sie hält ſich ihm
ganz nah zu oder in beſcheidener Entfernung, je
nach ſeiner Stimmung, und wenn er ſeinen Ge¬
ſchäften nachgeht, ſo ſtört ſie ihn nicht, ſondern
verbreitet unterdeſſen ſein Lob in und außer dem
Hauſe; denn ſie läßt nichts an ihn kommen
und rühmt Alles, was an ihm iſt! Aber das
Anmuthigſte iſt die wunderbare Beſchaffenheit
ihres zarten leiblichen Daſeins, welches die Na¬
tur ſo verſchieden gemacht hat von unſerm We¬
ſen bei anſcheinender Menſchenähnlichkeit, daß
es ein fortwährendes Meerwunder in einer glück¬
haften Ehe bewirkt und eigentlich die allerdurch¬
triebenſte Hexerei in ſich birgt! Doch was ſchwatze
ich da wie ein Thor an der Schwelle des To¬
des! Wie wird ein weiſer Mann auf dergleichen
Eitelkeiten ſein Augenmerk richten! Verzeiht, Herr
Pineiß, und ſchneidet mir den Kopf ab!«

Pineiß aber rief heftig: »So halt doch end¬
lich inne, Du Schwätzer! und ſage mir: Wo
iſt eine Solche und hat ſie zehntauſend Gold¬
gülden?«

»Zehntauſend Goldgülden?« ſagte Spiegel.

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[476/0488] wie er es wünſcht, kurz, ſie thut tauſend Dinge, die nicht zu verwerfen ſind. Sie hält ſich ihm ganz nah zu oder in beſcheidener Entfernung, je nach ſeiner Stimmung, und wenn er ſeinen Ge¬ ſchäften nachgeht, ſo ſtört ſie ihn nicht, ſondern verbreitet unterdeſſen ſein Lob in und außer dem Hauſe; denn ſie läßt nichts an ihn kommen und rühmt Alles, was an ihm iſt! Aber das Anmuthigſte iſt die wunderbare Beſchaffenheit ihres zarten leiblichen Daſeins, welches die Na¬ tur ſo verſchieden gemacht hat von unſerm We¬ ſen bei anſcheinender Menſchenähnlichkeit, daß es ein fortwährendes Meerwunder in einer glück¬ haften Ehe bewirkt und eigentlich die allerdurch¬ triebenſte Hexerei in ſich birgt! Doch was ſchwatze ich da wie ein Thor an der Schwelle des To¬ des! Wie wird ein weiſer Mann auf dergleichen Eitelkeiten ſein Augenmerk richten! Verzeiht, Herr Pineiß, und ſchneidet mir den Kopf ab!« Pineiß aber rief heftig: »So halt doch end¬ lich inne, Du Schwätzer! und ſage mir: Wo iſt eine Solche und hat ſie zehntauſend Gold¬ gülden?« »Zehntauſend Goldgülden?« ſagte Spiegel.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/488>, abgerufen am 22.11.2024.