solche Pünktlichkeit nicht um Tagelohn und um eine Portion Kartoffelsuppe zu üben schienen, sondern damit nur thaten, was sie nicht lassen konnten, wie zu ihrem Vergnügen und dabei wohl bestan¬ den. Da ich nun durch das allmälige Auswendig¬ lernen unsres Geographiebuches, so einfach dieses war, auch auf dem Erdboden Bescheid wußte, so verstand ich meine Richtung wohl zu nehmen und beschloß in diesem Augenblick, nordwärts durch ganz Deutschland zu laufen, bis ich das Meer erreichte. Also lief ich die Nacht hindurch wieder acht gute Stunden und kam mit der Morgen¬ sonne an eine wilde und entlegene Stelle am Rhein, wo eben vor meinen Augen ein mit Korn¬ säcken beladenes Schiff an einer Untiefe aufstieß, indessen doch das Wasser über einen Theil der Ladung wegströmte. Da sich nur drei Männer bei dem Schiffe befanden und weit und breit in dieser Frühe und in dieser Wildniß Niemand zu ersehen war, so kam ich sehr willkommen, als ich sogleich Hand anlegte und den Schiffern die schwere Ladung an's Ufer bringen und das Fahrzeug wie¬ der flott machen half. Was von dem Korne naß geworden, schütteten wir auf Bretter, die wir an
ſolche Pünktlichkeit nicht um Tagelohn und um eine Portion Kartoffelſuppe zu üben ſchienen, ſondern damit nur thaten, was ſie nicht laſſen konnten, wie zu ihrem Vergnügen und dabei wohl beſtan¬ den. Da ich nun durch das allmälige Auswendig¬ lernen unſres Geographiebuches, ſo einfach dieſes war, auch auf dem Erdboden Beſcheid wußte, ſo verſtand ich meine Richtung wohl zu nehmen und beſchloß in dieſem Augenblick, nordwärts durch ganz Deutſchland zu laufen, bis ich das Meer erreichte. Alſo lief ich die Nacht hindurch wieder acht gute Stunden und kam mit der Morgen¬ ſonne an eine wilde und entlegene Stelle am Rhein, wo eben vor meinen Augen ein mit Korn¬ ſäcken beladenes Schiff an einer Untiefe aufſtieß, indeſſen doch das Waſſer über einen Theil der Ladung wegſtrömte. Da ſich nur drei Männer bei dem Schiffe befanden und weit und breit in dieſer Frühe und in dieſer Wildniß Niemand zu erſehen war, ſo kam ich ſehr willkommen, als ich ſogleich Hand anlegte und den Schiffern die ſchwere Ladung an's Ufer bringen und das Fahrzeug wie¬ der flott machen half. Was von dem Korne naß geworden, ſchütteten wir auf Bretter, die wir an
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0049"n="37"/>ſolche Pünktlichkeit nicht um Tagelohn und um eine<lb/>
Portion Kartoffelſuppe zu üben ſchienen, ſondern<lb/>
damit nur thaten, was ſie nicht laſſen konnten,<lb/>
wie zu ihrem Vergnügen und dabei wohl beſtan¬<lb/>
den. Da ich nun durch das allmälige Auswendig¬<lb/>
lernen unſres Geographiebuches, ſo einfach dieſes<lb/>
war, auch auf dem Erdboden Beſcheid wußte, ſo<lb/>
verſtand ich meine Richtung wohl zu nehmen und<lb/>
beſchloß in dieſem Augenblick, nordwärts durch<lb/>
ganz Deutſchland zu laufen, bis ich das Meer<lb/>
erreichte. Alſo lief ich die Nacht hindurch wieder<lb/>
acht gute Stunden und kam mit der Morgen¬<lb/>ſonne an eine wilde und entlegene Stelle am<lb/>
Rhein, wo eben vor meinen Augen ein mit Korn¬<lb/>ſäcken beladenes Schiff an einer Untiefe aufſtieß,<lb/>
indeſſen doch das Waſſer über einen Theil der<lb/>
Ladung wegſtrömte. Da ſich nur drei Männer<lb/>
bei dem Schiffe befanden und weit und breit in<lb/>
dieſer Frühe und in dieſer Wildniß Niemand zu<lb/>
erſehen war, ſo kam ich ſehr willkommen, als ich<lb/>ſogleich Hand anlegte und den Schiffern die ſchwere<lb/>
Ladung an's Ufer bringen und das Fahrzeug wie¬<lb/>
der flott machen half. Was von dem Korne naß<lb/>
geworden, ſchütteten wir auf Bretter, die wir an<lb/></p></div></body></text></TEI>
[37/0049]
ſolche Pünktlichkeit nicht um Tagelohn und um eine
Portion Kartoffelſuppe zu üben ſchienen, ſondern
damit nur thaten, was ſie nicht laſſen konnten,
wie zu ihrem Vergnügen und dabei wohl beſtan¬
den. Da ich nun durch das allmälige Auswendig¬
lernen unſres Geographiebuches, ſo einfach dieſes
war, auch auf dem Erdboden Beſcheid wußte, ſo
verſtand ich meine Richtung wohl zu nehmen und
beſchloß in dieſem Augenblick, nordwärts durch
ganz Deutſchland zu laufen, bis ich das Meer
erreichte. Alſo lief ich die Nacht hindurch wieder
acht gute Stunden und kam mit der Morgen¬
ſonne an eine wilde und entlegene Stelle am
Rhein, wo eben vor meinen Augen ein mit Korn¬
ſäcken beladenes Schiff an einer Untiefe aufſtieß,
indeſſen doch das Waſſer über einen Theil der
Ladung wegſtrömte. Da ſich nur drei Männer
bei dem Schiffe befanden und weit und breit in
dieſer Frühe und in dieſer Wildniß Niemand zu
erſehen war, ſo kam ich ſehr willkommen, als ich
ſogleich Hand anlegte und den Schiffern die ſchwere
Ladung an's Ufer bringen und das Fahrzeug wie¬
der flott machen half. Was von dem Korne naß
geworden, ſchütteten wir auf Bretter, die wir an
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/49>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.