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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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dendheiß im Gesicht und meine Augen wurden
auch naß. Die Sache stand jetzt dergestalt auf
der Spitze, daß ich entweder eine Dummheit oder
eine Gewissenlosigkeit zu begehen im Begriff war,
wovon ich weder das Eine noch das Andere zu
thun gesonnen war. Doch dachte ich, indem ich
so neben ihr herschritt, in meinen armen Gedan¬
ken: Wenn dies Weib dich liebt und du jemals
mit Ehren an ihre Hand gelangest, so sollst du
ihr auch dienen bis in den Tod, und wenn sie
der Teufel selbst wäre!

"Indem erreichten wir eine Stätte, wo ein
oder zwei Dutzend Orangenbäume standen und
die Luft mit Wohlgeruch erfüllten, während ein
süßer frischer Lufthauch durch die reinlichen edel¬
geformten Stämmchen wehte. Ich glaube diesen
bethörenden Hauch und Duft noch jetzt zu füh¬
len, wenn ich daran denke; wahrscheinlich übte
er eine ähnliche Wirkung auf das Geschöpf, das
neben mir ging, daß es seine wundersame Lei¬
denschaft, welche die Liebe zu sich selbst war,
so auf's äußerste empfand und darstellte, als ob
es eine wirkliche Liebe zu einem Manne wäre;
denn sie ließ sich auf eine Bank unter den Orangen

dendheiß im Geſicht und meine Augen wurden
auch naß. Die Sache ſtand jetzt dergeſtalt auf
der Spitze, daß ich entweder eine Dummheit oder
eine Gewiſſenloſigkeit zu begehen im Begriff war,
wovon ich weder das Eine noch das Andere zu
thun geſonnen war. Doch dachte ich, indem ich
ſo neben ihr herſchritt, in meinen armen Gedan¬
ken: Wenn dies Weib dich liebt und du jemals
mit Ehren an ihre Hand gelangeſt, ſo ſollſt du
ihr auch dienen bis in den Tod, und wenn ſie
der Teufel ſelbſt wäre!

»Indem erreichten wir eine Stätte, wo ein
oder zwei Dutzend Orangenbäume ſtanden und
die Luft mit Wohlgeruch erfüllten, während ein
ſüßer friſcher Lufthauch durch die reinlichen edel¬
geformten Stämmchen wehte. Ich glaube dieſen
bethörenden Hauch und Duft noch jetzt zu füh¬
len, wenn ich daran denke; wahrſcheinlich übte
er eine ähnliche Wirkung auf das Geſchöpf, das
neben mir ging, daß es ſeine wunderſame Lei¬
denſchaft, welche die Liebe zu ſich ſelbſt war,
ſo auf's äußerſte empfand und darſtellte, als ob
es eine wirkliche Liebe zu einem Manne wäre;
denn ſie ließ ſich auf eine Bank unter den Orangen

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[79/0091] dendheiß im Geſicht und meine Augen wurden auch naß. Die Sache ſtand jetzt dergeſtalt auf der Spitze, daß ich entweder eine Dummheit oder eine Gewiſſenloſigkeit zu begehen im Begriff war, wovon ich weder das Eine noch das Andere zu thun geſonnen war. Doch dachte ich, indem ich ſo neben ihr herſchritt, in meinen armen Gedan¬ ken: Wenn dies Weib dich liebt und du jemals mit Ehren an ihre Hand gelangeſt, ſo ſollſt du ihr auch dienen bis in den Tod, und wenn ſie der Teufel ſelbſt wäre! »Indem erreichten wir eine Stätte, wo ein oder zwei Dutzend Orangenbäume ſtanden und die Luft mit Wohlgeruch erfüllten, während ein ſüßer friſcher Lufthauch durch die reinlichen edel¬ geformten Stämmchen wehte. Ich glaube dieſen bethörenden Hauch und Duft noch jetzt zu füh¬ len, wenn ich daran denke; wahrſcheinlich übte er eine ähnliche Wirkung auf das Geſchöpf, das neben mir ging, daß es ſeine wunderſame Lei¬ denſchaft, welche die Liebe zu ſich ſelbſt war, ſo auf's äußerſte empfand und darſtellte, als ob es eine wirkliche Liebe zu einem Manne wäre; denn ſie ließ ſich auf eine Bank unter den Orangen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/91>, abgerufen am 24.11.2024.