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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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und ohne sich halten zu lassen, eilte sie hinaus und so
stürmisch die Treppe hinauf, daß das Flämmchen ver¬
löschte und sie im Dunkeln verschwand. Am andern Tage,
als er ihr zu begegnen suchte, war sie auch aus dem
Hause verschwunden. Da er vorsichtig nachforschte, hörte
er, sie sei plötzlich aufgebrochen und in ihre Heimat
gegangen, und als sie nach mehreren Tagen noch nicht
zurückgekehrt war, nahm er einen Wagen und fuhr hinaus,
sie aufzufinden. Er traf sie auch in der ärmlichen Be¬
hausung der Ihrigen und zwar in großer Trauer sitzend.
Gleich einem Türken bestaunten ihn die großen Leute,
Weiber und Männer; aber er erklärte sich sogleich und
verlangte die Tochter Regina zur Frau. Und um zu
beweisen, wie er es meine, begehrte er den Stand ihrer
häuslichen Angelegenheiten zu erfahren und versprach,
ohne Verzug zu helfen. Nachdem die Leute sich erst
etwas gesammelt und seine Meinung verstanden hatten,
beeiferten sie sich, alles offen darzulegen, wobei aber der
Alte die Weiber, mit Ausnahme Reginens, hinausschieben
mußte, da sie Alles vermengten und verdrehten. Auch der
Sohn benahm sich neben dem einbeinigen Alten vernünftig
und schien doch nicht ohne Hoffnung. Es zeigte sich, daß
das kleine Gütchen verschuldet war; allein die Auslösung
erforderte eine Summe, die für Erwin's Mittel nicht in
Betracht kam; es waren eben kümmerlich kleine Verhält¬
nisse. Ließ er obenein noch eine ähnliche oder geringere
Summe da, so gerieth das reckenhafte Völklein in einen

und ohne ſich halten zu laſſen, eilte ſie hinaus und ſo
ſtürmiſch die Treppe hinauf, daß das Flämmchen ver¬
löſchte und ſie im Dunkeln verſchwand. Am andern Tage,
als er ihr zu begegnen ſuchte, war ſie auch aus dem
Hauſe verſchwunden. Da er vorſichtig nachforſchte, hörte
er, ſie ſei plötzlich aufgebrochen und in ihre Heimat
gegangen, und als ſie nach mehreren Tagen noch nicht
zurückgekehrt war, nahm er einen Wagen und fuhr hinaus,
ſie aufzufinden. Er traf ſie auch in der ärmlichen Be¬
hauſung der Ihrigen und zwar in großer Trauer ſitzend.
Gleich einem Türken beſtaunten ihn die großen Leute,
Weiber und Männer; aber er erklärte ſich ſogleich und
verlangte die Tochter Regina zur Frau. Und um zu
beweiſen, wie er es meine, begehrte er den Stand ihrer
häuslichen Angelegenheiten zu erfahren und verſprach,
ohne Verzug zu helfen. Nachdem die Leute ſich erſt
etwas geſammelt und ſeine Meinung verſtanden hatten,
beeiferten ſie ſich, alles offen darzulegen, wobei aber der
Alte die Weiber, mit Ausnahme Reginens, hinausſchieben
mußte, da ſie Alles vermengten und verdrehten. Auch der
Sohn benahm ſich neben dem einbeinigen Alten vernünftig
und ſchien doch nicht ohne Hoffnung. Es zeigte ſich, daß
das kleine Gütchen verſchuldet war; allein die Auslöſung
erforderte eine Summe, die für Erwin's Mittel nicht in
Betracht kam; es waren eben kümmerlich kleine Verhält¬
niſſe. Ließ er obenein noch eine ähnliche oder geringere
Summe da, ſo gerieth das reckenhafte Völklein in einen

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[90/0100] und ohne ſich halten zu laſſen, eilte ſie hinaus und ſo ſtürmiſch die Treppe hinauf, daß das Flämmchen ver¬ löſchte und ſie im Dunkeln verſchwand. Am andern Tage, als er ihr zu begegnen ſuchte, war ſie auch aus dem Hauſe verſchwunden. Da er vorſichtig nachforſchte, hörte er, ſie ſei plötzlich aufgebrochen und in ihre Heimat gegangen, und als ſie nach mehreren Tagen noch nicht zurückgekehrt war, nahm er einen Wagen und fuhr hinaus, ſie aufzufinden. Er traf ſie auch in der ärmlichen Be¬ hauſung der Ihrigen und zwar in großer Trauer ſitzend. Gleich einem Türken beſtaunten ihn die großen Leute, Weiber und Männer; aber er erklärte ſich ſogleich und verlangte die Tochter Regina zur Frau. Und um zu beweiſen, wie er es meine, begehrte er den Stand ihrer häuslichen Angelegenheiten zu erfahren und verſprach, ohne Verzug zu helfen. Nachdem die Leute ſich erſt etwas geſammelt und ſeine Meinung verſtanden hatten, beeiferten ſie ſich, alles offen darzulegen, wobei aber der Alte die Weiber, mit Ausnahme Reginens, hinausſchieben mußte, da ſie Alles vermengten und verdrehten. Auch der Sohn benahm ſich neben dem einbeinigen Alten vernünftig und ſchien doch nicht ohne Hoffnung. Es zeigte ſich, daß das kleine Gütchen verſchuldet war; allein die Auslöſung erforderte eine Summe, die für Erwin's Mittel nicht in Betracht kam; es waren eben kümmerlich kleine Verhält¬ niſſe. Ließ er obenein noch eine ähnliche oder geringere Summe da, ſo gerieth das reckenhafte Völklein in einen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/100>, abgerufen am 24.11.2024.