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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Mich aber ergriff jetzt Regine unversehens beim Arme
und zog mich raschen Schrittes bei Seite, bis wir auf
einsamere Schattenwege gelangten. Jetzt öffnete sie auf
einmal ihr Herz: sie habe sich auf diesen Tag gefreut,
um sich von Erwin satt sprechen zu können. Die andern
Frauen sprächen nie von ihren Männern und auch von
dem ihrigen, nämlich Erwin, thäten sie es nur, um alles
Mögliche auszufragen und ihre Neugierde nach Dingen,
zu befriedigen, die sie nichts angingen. Da schweige sie
lieber auch. Mit mir aber, der ich ein guter Freund
und ja ein Landsmann sei, wolle sie nun reden, was sie
freue. Sie fing also an zu plaudern, wie sie auf seine
baldige Ankunft hoffe, wie gut und lieb er sei, auch in
den Briefen, die er schreibe; was er für Eigenthümlich¬
keiten habe, von denen sie nicht wisse, ob sie andere
gebildete oder reiche Herren auch besitzen, die sie aber
nicht um die Welt hingeben möchte; ob ich viel von ihm
wisse aus der Zeit, ehe sie ihn gekannt? Ob ich nicht
glaube, daß er glücklicher gewesen sei, als jetzt, und tausend
solcher Dinge mehr. Sie redete sich so in die Aufregung
hinein, daß sie schneller zu gehen und zu eilen begann,
wie wenn sie ihn gleich jetzt zu finden gedächte, und so
gelangten wir unerwartet auf einen freien sonnigen Platz,
der einen kleinen Teich umgab. In der Mitte des letzteren
erhob sich eine flache goldene Schale, aus welcher das
Wasser über ein großes Bouquet frischer Blumen so sanft
und gleichmäßig herabfiel, und so ohne jedes Geräusch,

Mich aber ergriff jetzt Regine unverſehens beim Arme
und zog mich raſchen Schrittes bei Seite, bis wir auf
einſamere Schattenwege gelangten. Jetzt öffnete ſie auf
einmal ihr Herz: ſie habe ſich auf dieſen Tag gefreut,
um ſich von Erwin ſatt ſprechen zu können. Die andern
Frauen ſprächen nie von ihren Männern und auch von
dem ihrigen, nämlich Erwin, thäten ſie es nur, um alles
Mögliche auszufragen und ihre Neugierde nach Dingen,
zu befriedigen, die ſie nichts angingen. Da ſchweige ſie
lieber auch. Mit mir aber, der ich ein guter Freund
und ja ein Landsmann ſei, wolle ſie nun reden, was ſie
freue. Sie fing alſo an zu plaudern, wie ſie auf ſeine
baldige Ankunft hoffe, wie gut und lieb er ſei, auch in
den Briefen, die er ſchreibe; was er für Eigenthümlich¬
keiten habe, von denen ſie nicht wiſſe, ob ſie andere
gebildete oder reiche Herren auch beſitzen, die ſie aber
nicht um die Welt hingeben möchte; ob ich viel von ihm
wiſſe aus der Zeit, ehe ſie ihn gekannt? Ob ich nicht
glaube, daß er glücklicher geweſen ſei, als jetzt, und tauſend
ſolcher Dinge mehr. Sie redete ſich ſo in die Aufregung
hinein, daß ſie ſchneller zu gehen und zu eilen begann,
wie wenn ſie ihn gleich jetzt zu finden gedächte, und ſo
gelangten wir unerwartet auf einen freien ſonnigen Platz,
der einen kleinen Teich umgab. In der Mitte des letzteren
erhob ſich eine flache goldene Schale, aus welcher das
Waſſer über ein großes Bouquet friſcher Blumen ſo ſanft
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[116/0126] Mich aber ergriff jetzt Regine unverſehens beim Arme und zog mich raſchen Schrittes bei Seite, bis wir auf einſamere Schattenwege gelangten. Jetzt öffnete ſie auf einmal ihr Herz: ſie habe ſich auf dieſen Tag gefreut, um ſich von Erwin ſatt ſprechen zu können. Die andern Frauen ſprächen nie von ihren Männern und auch von dem ihrigen, nämlich Erwin, thäten ſie es nur, um alles Mögliche auszufragen und ihre Neugierde nach Dingen, zu befriedigen, die ſie nichts angingen. Da ſchweige ſie lieber auch. Mit mir aber, der ich ein guter Freund und ja ein Landsmann ſei, wolle ſie nun reden, was ſie freue. Sie fing alſo an zu plaudern, wie ſie auf ſeine baldige Ankunft hoffe, wie gut und lieb er ſei, auch in den Briefen, die er ſchreibe; was er für Eigenthümlich¬ keiten habe, von denen ſie nicht wiſſe, ob ſie andere gebildete oder reiche Herren auch beſitzen, die ſie aber nicht um die Welt hingeben möchte; ob ich viel von ihm wiſſe aus der Zeit, ehe ſie ihn gekannt? Ob ich nicht glaube, daß er glücklicher geweſen ſei, als jetzt, und tauſend ſolcher Dinge mehr. Sie redete ſich ſo in die Aufregung hinein, daß ſie ſchneller zu gehen und zu eilen begann, wie wenn ſie ihn gleich jetzt zu finden gedächte, und ſo gelangten wir unerwartet auf einen freien ſonnigen Platz, der einen kleinen Teich umgab. In der Mitte des letzteren erhob ſich eine flache goldene Schale, aus welcher das Waſſer über ein großes Bouquet friſcher Blumen ſo ſanft und gleichmäßig herabfiel, und ſo ohne jedes Geräuſch,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/126>, abgerufen am 24.11.2024.