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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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sehen. Der Graf saß ruhig und unterhielt sich höflich
mit den Damen; Regine war blaß und schien unzweifel¬
haft mehr hergeschleppt worden, als freiwillig gekommen
zu sein. Es wurde Maria Stuart gegeben. Gegen den
Schluß des Trauerspieles betrachtete ich die Loge von
meinem dunkeln Winkel aus durch das Glas, während die
Augen des ganzen Hauses auf die Bühne gerichtet waren,
wo Leicester die Hinrichtung der Maria belauschte, die
unter seinen Füßen vor sich ging. Der Schauspieler war
ein dummer Geck, der in seinem weißen Atlaskleide die
kümmerlichsten Faxen machte, weshalb ich auch meine Blicke
von ihm abgewendet hatte. Aber Regine, welche bis dahin,
wie ich gut gesehen, der Handlung nur mit mühseliger
Theilnahme gefolgt war, blickte jetzt mit einer wahren
Seelenangst hin, und als der Schauspieler das Fallen des
Hauptes mit einem ungeschickten Umpurzeln anzeigte, zuckte
sie schrecklich zusammen, so daß der Graf sie einen Augen¬
blick lang aufrecht halten mußte.

Endlich kam die Nachricht, Erwin sei auf der Rück¬
reise begriffen. Ich will, was noch zu erzählen ist, so
folgen lassen, wie es sich theils für ihn entwickelt hat,
theils mir durch ihn später bekannt wurde. Die Geschäfte
hatten ihn zuletzt nach Newyork geführt, wo er sich dann
einschiffte. Dort war er in die Verkaufsräume eines
Kunsthändlers getreten, der nebenbei ein Lager von
amerikanischen Gewerbserzeugnissen eleganter Art hielt;
er wollte nur schnell nachsehen, ob sich etwas für Reginen

ſehen. Der Graf ſaß ruhig und unterhielt ſich höflich
mit den Damen; Regine war blaß und ſchien unzweifel¬
haft mehr hergeſchleppt worden, als freiwillig gekommen
zu ſein. Es wurde Maria Stuart gegeben. Gegen den
Schluß des Trauerſpieles betrachtete ich die Loge von
meinem dunkeln Winkel aus durch das Glas, während die
Augen des ganzen Hauſes auf die Bühne gerichtet waren,
wo Leiceſter die Hinrichtung der Maria belauſchte, die
unter ſeinen Füßen vor ſich ging. Der Schauſpieler war
ein dummer Geck, der in ſeinem weißen Atlaskleide die
kümmerlichſten Faxen machte, weshalb ich auch meine Blicke
von ihm abgewendet hatte. Aber Regine, welche bis dahin,
wie ich gut geſehen, der Handlung nur mit mühſeliger
Theilnahme gefolgt war, blickte jetzt mit einer wahren
Seelenangſt hin, und als der Schauſpieler das Fallen des
Hauptes mit einem ungeſchickten Umpurzeln anzeigte, zuckte
ſie ſchrecklich zuſammen, ſo daß der Graf ſie einen Augen¬
blick lang aufrecht halten mußte.

Endlich kam die Nachricht, Erwin ſei auf der Rück¬
reiſe begriffen. Ich will, was noch zu erzählen iſt, ſo
folgen laſſen, wie es ſich theils für ihn entwickelt hat,
theils mir durch ihn ſpäter bekannt wurde. Die Geſchäfte
hatten ihn zuletzt nach Newyork geführt, wo er ſich dann
einſchiffte. Dort war er in die Verkaufsräume eines
Kunſthändlers getreten, der nebenbei ein Lager von
amerikaniſchen Gewerbserzeugniſſen eleganter Art hielt;
er wollte nur ſchnell nachſehen, ob ſich etwas für Reginen

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[128/0138] ſehen. Der Graf ſaß ruhig und unterhielt ſich höflich mit den Damen; Regine war blaß und ſchien unzweifel¬ haft mehr hergeſchleppt worden, als freiwillig gekommen zu ſein. Es wurde Maria Stuart gegeben. Gegen den Schluß des Trauerſpieles betrachtete ich die Loge von meinem dunkeln Winkel aus durch das Glas, während die Augen des ganzen Hauſes auf die Bühne gerichtet waren, wo Leiceſter die Hinrichtung der Maria belauſchte, die unter ſeinen Füßen vor ſich ging. Der Schauſpieler war ein dummer Geck, der in ſeinem weißen Atlaskleide die kümmerlichſten Faxen machte, weshalb ich auch meine Blicke von ihm abgewendet hatte. Aber Regine, welche bis dahin, wie ich gut geſehen, der Handlung nur mit mühſeliger Theilnahme gefolgt war, blickte jetzt mit einer wahren Seelenangſt hin, und als der Schauſpieler das Fallen des Hauptes mit einem ungeſchickten Umpurzeln anzeigte, zuckte ſie ſchrecklich zuſammen, ſo daß der Graf ſie einen Augen¬ blick lang aufrecht halten mußte. Endlich kam die Nachricht, Erwin ſei auf der Rück¬ reiſe begriffen. Ich will, was noch zu erzählen iſt, ſo folgen laſſen, wie es ſich theils für ihn entwickelt hat, theils mir durch ihn ſpäter bekannt wurde. Die Geſchäfte hatten ihn zuletzt nach Newyork geführt, wo er ſich dann einſchiffte. Dort war er in die Verkaufsräume eines Kunſthändlers getreten, der nebenbei ein Lager von amerikaniſchen Gewerbserzeugniſſen eleganter Art hielt; er wollte nur ſchnell nachſehen, ob ſich etwas für Reginen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/138>, abgerufen am 24.11.2024.