Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

sie sogar dem Militärdienste aus dem Wege zu gehen,
obgleich sie groß und gesund waren. Der Vater haßte
sie und lauerte auf die Erbschaften, die ihrer von mütter¬
licher Seite her noch warteten, um als natürlicher Vor¬
mund das Vermögen seiner Söhne wenigstens noch während
ein paar Jahren in die Hände zu bekommen. Allein sie
wurden richtig volljährig, ehe die Glücksfälle rasch einer
nach dem andern eintraten; und nun rafften sie ihren
Reichthum zusammen und reisten mit einander in die Welt
hinaus, um zu treiben, was ihnen wohlgefiel, und nicht
einen Pfennig ließen sie zurück. Sie hingen an einander
wie die Kletten; während man sonst von einer Affenliebe
spricht, hielten die zwei Brüder mit einer Art von
Halunkenliebe zusammen und thun es wahrscheinlich jetzt
noch, wenn sie noch leben; denn man weiß nicht, wo
sie sind.

"Der Vater wurde kränklich und starb, und nun war
die Mutter mit mir allein auf dem verarmten Stamm¬
sitze zu Lohausen, den sie nie gesehen zu haben wünschte.
Schon seit Jahren hatte sie zu retten gesucht, was zu
retten war, und jetzt kämpfte sie wie ein Soldat gegen
den Untergang. Von ihr lernte ich fast von nichts zu
leben und das Nichts noch zu sparen. Mit wenigen
Leuten hielten wir uns auf dem Hofe, obgleich er schon
verschuldet war. Früh und spät schaute die Mutter zur
Sache; ihr Vermögen war verloren, aber noch hatte auch
sie zu erben und in dieser Hoffnung nur hielt sie sich

ſie ſogar dem Militärdienſte aus dem Wege zu gehen,
obgleich ſie groß und geſund waren. Der Vater haßte
ſie und lauerte auf die Erbſchaften, die ihrer von mütter¬
licher Seite her noch warteten, um als natürlicher Vor¬
mund das Vermögen ſeiner Söhne wenigſtens noch während
ein paar Jahren in die Hände zu bekommen. Allein ſie
wurden richtig volljährig, ehe die Glücksfälle raſch einer
nach dem andern eintraten; und nun rafften ſie ihren
Reichthum zuſammen und reiſten mit einander in die Welt
hinaus, um zu treiben, was ihnen wohlgefiel, und nicht
einen Pfennig ließen ſie zurück. Sie hingen an einander
wie die Kletten; während man ſonſt von einer Affenliebe
ſpricht, hielten die zwei Brüder mit einer Art von
Halunkenliebe zuſammen und thun es wahrſcheinlich jetzt
noch, wenn ſie noch leben; denn man weiß nicht, wo
ſie ſind.

„Der Vater wurde kränklich und ſtarb, und nun war
die Mutter mit mir allein auf dem verarmten Stamm¬
ſitze zu Lohauſen, den ſie nie geſehen zu haben wünſchte.
Schon ſeit Jahren hatte ſie zu retten geſucht, was zu
retten war, und jetzt kämpfte ſie wie ein Soldat gegen
den Untergang. Von ihr lernte ich faſt von nichts zu
leben und das Nichts noch zu ſparen. Mit wenigen
Leuten hielten wir uns auf dem Hofe, obgleich er ſchon
verſchuldet war. Früh und ſpät ſchaute die Mutter zur
Sache; ihr Vermögen war verloren, aber noch hatte auch
ſie zu erben und in dieſer Hoffnung nur hielt ſie ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0204" n="194"/>
&#x017F;ie &#x017F;ogar dem Militärdien&#x017F;te aus dem Wege zu gehen,<lb/>
obgleich &#x017F;ie groß und ge&#x017F;und waren. Der Vater haßte<lb/>
&#x017F;ie und lauerte auf die Erb&#x017F;chaften, die ihrer von mütter¬<lb/>
licher Seite her noch warteten, um als natürlicher Vor¬<lb/>
mund das Vermögen &#x017F;einer Söhne wenig&#x017F;tens noch während<lb/>
ein paar Jahren in die Hände zu bekommen. Allein &#x017F;ie<lb/>
wurden richtig volljährig, ehe die Glücksfälle ra&#x017F;ch einer<lb/>
nach dem andern eintraten; und nun rafften &#x017F;ie ihren<lb/>
Reichthum zu&#x017F;ammen und rei&#x017F;ten mit einander in die Welt<lb/>
hinaus, um zu treiben, was ihnen wohlgefiel, und nicht<lb/>
einen Pfennig ließen &#x017F;ie zurück. Sie hingen an einander<lb/>
wie die Kletten; während man &#x017F;on&#x017F;t von einer Affenliebe<lb/>
&#x017F;pricht, hielten die zwei Brüder mit einer Art von<lb/>
Halunkenliebe zu&#x017F;ammen und thun es wahr&#x017F;cheinlich jetzt<lb/>
noch, wenn &#x017F;ie noch leben; denn man weiß nicht, wo<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Der Vater wurde kränklich und &#x017F;tarb, und nun war<lb/>
die Mutter mit mir allein auf dem verarmten Stamm¬<lb/>
&#x017F;itze zu Lohau&#x017F;en, den &#x017F;ie nie ge&#x017F;ehen zu haben wün&#x017F;chte.<lb/>
Schon &#x017F;eit Jahren hatte &#x017F;ie zu retten ge&#x017F;ucht, was zu<lb/>
retten war, und jetzt kämpfte &#x017F;ie wie ein Soldat gegen<lb/>
den Untergang. Von ihr lernte ich fa&#x017F;t von nichts zu<lb/>
leben und das Nichts noch zu &#x017F;paren. Mit wenigen<lb/>
Leuten hielten wir uns auf dem Hofe, obgleich er &#x017F;chon<lb/>
ver&#x017F;chuldet war. Früh und &#x017F;pät &#x017F;chaute die Mutter zur<lb/>
Sache; ihr Vermögen war verloren, aber noch hatte auch<lb/>
&#x017F;ie zu erben und in die&#x017F;er Hoffnung nur hielt &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0204] ſie ſogar dem Militärdienſte aus dem Wege zu gehen, obgleich ſie groß und geſund waren. Der Vater haßte ſie und lauerte auf die Erbſchaften, die ihrer von mütter¬ licher Seite her noch warteten, um als natürlicher Vor¬ mund das Vermögen ſeiner Söhne wenigſtens noch während ein paar Jahren in die Hände zu bekommen. Allein ſie wurden richtig volljährig, ehe die Glücksfälle raſch einer nach dem andern eintraten; und nun rafften ſie ihren Reichthum zuſammen und reiſten mit einander in die Welt hinaus, um zu treiben, was ihnen wohlgefiel, und nicht einen Pfennig ließen ſie zurück. Sie hingen an einander wie die Kletten; während man ſonſt von einer Affenliebe ſpricht, hielten die zwei Brüder mit einer Art von Halunkenliebe zuſammen und thun es wahrſcheinlich jetzt noch, wenn ſie noch leben; denn man weiß nicht, wo ſie ſind. „Der Vater wurde kränklich und ſtarb, und nun war die Mutter mit mir allein auf dem verarmten Stamm¬ ſitze zu Lohauſen, den ſie nie geſehen zu haben wünſchte. Schon ſeit Jahren hatte ſie zu retten geſucht, was zu retten war, und jetzt kämpfte ſie wie ein Soldat gegen den Untergang. Von ihr lernte ich faſt von nichts zu leben und das Nichts noch zu ſparen. Mit wenigen Leuten hielten wir uns auf dem Hofe, obgleich er ſchon verſchuldet war. Früh und ſpät ſchaute die Mutter zur Sache; ihr Vermögen war verloren, aber noch hatte auch ſie zu erben und in dieſer Hoffnung nur hielt ſie ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/204
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/204>, abgerufen am 21.11.2024.