Vertrauen öffnete und ohne Spott den gewünschten ver¬ nünftigen und kühlen Zuspruch ertheilte.
Einen solchen fand ich in einem Studenten, dem wir den altdeutschen Spitznamen Mannelin gegeben, wobei wir ihn einstweilen noch lassen wollen. Ich hatte in einem Collegium den Platz neben ihm erhalten, und er war mir vielleicht dadurch anziehend geworden, daß er fast in Allem das Gegentheil von mir zu sein schien. Immer ruhig, meistens fleißig, war er doch kein Spielverderber, und obschon er weder focht noch ritt, noch viel trank, nahm er an den allgemeinen Versammlungen und Haupt¬ sachen Theil und sah mit einer fast gelahrten und feinen Haltung schon als Jüngling in die Welt und war gern gesehen.
Engere Bekanntschaft machte ich mit diesem Mannelin in dem Bankhause, bei welchem ich empfohlen war und auch er seine Wechsel vorzuweisen hatte. Der Bankier pflegte auf jeden Sonntag einige Studenten zu seinen Tischgesellschaften einzuladen, und so trafen wir einstmals dort als Tischnachbarn zusammen und unterhielten uns so gut, daß wir nachher einen langen Spaziergang zu¬ sammen machten und uns auch in der Folge öfter sahen. Ich fühlte bald das Bedürfniß, meine Lustbarkeiten und Waffenthaten häufiger zu unterbrechen und den ruhigen Genossen aufzusuchen, dem immer eine Stunde oder mehrere zur Verfügung standen, weil er immer vorher schon Etwas gethan hatte und auch nachher wieder gleichmüthig arbeiten
Vertrauen öffnete und ohne Spott den gewünſchten ver¬ nünftigen und kühlen Zuſpruch ertheilte.
Einen ſolchen fand ich in einem Studenten, dem wir den altdeutſchen Spitznamen Mannelin gegeben, wobei wir ihn einſtweilen noch laſſen wollen. Ich hatte in einem Collegium den Platz neben ihm erhalten, und er war mir vielleicht dadurch anziehend geworden, daß er faſt in Allem das Gegentheil von mir zu ſein ſchien. Immer ruhig, meiſtens fleißig, war er doch kein Spielverderber, und obſchon er weder focht noch ritt, noch viel trank, nahm er an den allgemeinen Verſammlungen und Haupt¬ ſachen Theil und ſah mit einer faſt gelahrten und feinen Haltung ſchon als Jüngling in die Welt und war gern geſehen.
Engere Bekanntſchaft machte ich mit dieſem Mannelin in dem Bankhauſe, bei welchem ich empfohlen war und auch er ſeine Wechſel vorzuweiſen hatte. Der Bankier pflegte auf jeden Sonntag einige Studenten zu ſeinen Tiſchgeſellſchaften einzuladen, und ſo trafen wir einſtmals dort als Tiſchnachbarn zuſammen und unterhielten uns ſo gut, daß wir nachher einen langen Spaziergang zu¬ ſammen machten und uns auch in der Folge öfter ſahen. Ich fühlte bald das Bedürfniß, meine Luſtbarkeiten und Waffenthaten häufiger zu unterbrechen und den ruhigen Genoſſen aufzuſuchen, dem immer eine Stunde oder mehrere zur Verfügung ſtanden, weil er immer vorher ſchon Etwas gethan hatte und auch nachher wieder gleichmüthig arbeiten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0231"n="221"/>
Vertrauen öffnete und ohne Spott den gewünſchten ver¬<lb/>
nünftigen und kühlen Zuſpruch ertheilte.</p><lb/><p>Einen ſolchen fand ich in einem Studenten, dem wir<lb/>
den altdeutſchen Spitznamen Mannelin gegeben, wobei<lb/>
wir ihn einſtweilen noch laſſen wollen. Ich hatte in<lb/>
einem Collegium den Platz neben ihm erhalten, und er<lb/>
war mir vielleicht dadurch anziehend geworden, daß er faſt<lb/>
in Allem das Gegentheil von mir zu ſein ſchien. Immer<lb/>
ruhig, meiſtens fleißig, war er doch kein Spielverderber,<lb/>
und obſchon er weder focht noch ritt, noch viel trank,<lb/>
nahm er an den allgemeinen Verſammlungen und Haupt¬<lb/>ſachen Theil und ſah mit einer faſt gelahrten und feinen<lb/>
Haltung ſchon als Jüngling in die Welt und war gern<lb/>
geſehen.</p><lb/><p>Engere Bekanntſchaft machte ich mit dieſem Mannelin<lb/>
in dem Bankhauſe, bei welchem ich empfohlen war und<lb/>
auch er ſeine Wechſel vorzuweiſen hatte. Der Bankier<lb/>
pflegte auf jeden Sonntag einige Studenten zu ſeinen<lb/>
Tiſchgeſellſchaften einzuladen, und ſo trafen wir einſtmals<lb/>
dort als Tiſchnachbarn zuſammen und unterhielten uns<lb/>ſo gut, daß wir nachher einen langen Spaziergang zu¬<lb/>ſammen machten und uns auch in der Folge öfter ſahen.<lb/>
Ich fühlte bald das Bedürfniß, meine Luſtbarkeiten und<lb/>
Waffenthaten häufiger zu unterbrechen und den ruhigen<lb/>
Genoſſen aufzuſuchen, dem immer eine Stunde oder mehrere<lb/>
zur Verfügung ſtanden, weil er immer vorher ſchon Etwas<lb/>
gethan hatte und auch nachher wieder gleichmüthig arbeiten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[221/0231]
Vertrauen öffnete und ohne Spott den gewünſchten ver¬
nünftigen und kühlen Zuſpruch ertheilte.
Einen ſolchen fand ich in einem Studenten, dem wir
den altdeutſchen Spitznamen Mannelin gegeben, wobei
wir ihn einſtweilen noch laſſen wollen. Ich hatte in
einem Collegium den Platz neben ihm erhalten, und er
war mir vielleicht dadurch anziehend geworden, daß er faſt
in Allem das Gegentheil von mir zu ſein ſchien. Immer
ruhig, meiſtens fleißig, war er doch kein Spielverderber,
und obſchon er weder focht noch ritt, noch viel trank,
nahm er an den allgemeinen Verſammlungen und Haupt¬
ſachen Theil und ſah mit einer faſt gelahrten und feinen
Haltung ſchon als Jüngling in die Welt und war gern
geſehen.
Engere Bekanntſchaft machte ich mit dieſem Mannelin
in dem Bankhauſe, bei welchem ich empfohlen war und
auch er ſeine Wechſel vorzuweiſen hatte. Der Bankier
pflegte auf jeden Sonntag einige Studenten zu ſeinen
Tiſchgeſellſchaften einzuladen, und ſo trafen wir einſtmals
dort als Tiſchnachbarn zuſammen und unterhielten uns
ſo gut, daß wir nachher einen langen Spaziergang zu¬
ſammen machten und uns auch in der Folge öfter ſahen.
Ich fühlte bald das Bedürfniß, meine Luſtbarkeiten und
Waffenthaten häufiger zu unterbrechen und den ruhigen
Genoſſen aufzuſuchen, dem immer eine Stunde oder mehrere
zur Verfügung ſtanden, weil er immer vorher ſchon Etwas
gethan hatte und auch nachher wieder gleichmüthig arbeiten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/231>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.