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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Gasthofe bezog, in welchem ich vor fünf Vierteljahren so
manche Flasche ausgestochen, waren Wirth und Diener¬
schaft sehr verwundert über den ernsthaften Kriegsmann.

Allein auch ich verwunderte mich, da ich auf Befragen
vernahm, die Bankiersfamilie befinde sich zur Zeit nicht
in der Stadt, sondern auf einem Landsitze, der ungefähr
eine Meile entfernt sei. Ein französischer Emigrant, der
vor zwanzig Jahren das Grundstück an sich gebracht, hatte
es nämlich augenblicklich zum Verkaufe ausgeboten, als
die Ordnung der Dinge in Frankreich umgestürzt war;
und der Bankier hatte nicht gesäumt, das Gut auf die
leichte und billige Weise zu erwerben, die in solchen Zeit-
und Kriegsläufen denen möglich ist, welche baares Geld
haben.

Ich konnte daher am Tage der Ankunft nicht mehr
vorsprechen, ritt aber um so zeitiger am andern Morgen
hinaus, von meinem Reitknechte begleitet. Es regnete ein
wenig an dem Tage, weshalb ich den Kragen des weißen
Reitermantels aufgestellt und die Schirmmütze etwas tief
in die Augen gezogen hatte, als ich durch eine lange Allee
auf das alte schloßartige Gebäude zuritt, das wenig gut
unterhalten schien. Man mochte glauben, daß eine gewöhn¬
liche Officiers-Einquartierung angekommen sei, da auch in
der Umgebung schon österreichische Reiterei erschienen war.
Es trat daher nur ein Diener aus der Thüre, mich zu
empfangen und nach meinen Wünschen zu fragen Statt
ihm zu antworten, sprang ich vom Pferde, überließ die

Gaſthofe bezog, in welchem ich vor fünf Vierteljahren ſo
manche Flaſche ausgeſtochen, waren Wirth und Diener¬
ſchaft ſehr verwundert über den ernſthaften Kriegsmann.

Allein auch ich verwunderte mich, da ich auf Befragen
vernahm, die Bankiersfamilie befinde ſich zur Zeit nicht
in der Stadt, ſondern auf einem Landſitze, der ungefähr
eine Meile entfernt ſei. Ein franzöſiſcher Emigrant, der
vor zwanzig Jahren das Grundſtück an ſich gebracht, hatte
es nämlich augenblicklich zum Verkaufe ausgeboten, als
die Ordnung der Dinge in Frankreich umgeſtürzt war;
und der Bankier hatte nicht geſäumt, das Gut auf die
leichte und billige Weiſe zu erwerben, die in ſolchen Zeit-
und Kriegsläufen denen möglich iſt, welche baares Geld
haben.

Ich konnte daher am Tage der Ankunft nicht mehr
vorſprechen, ritt aber um ſo zeitiger am andern Morgen
hinaus, von meinem Reitknechte begleitet. Es regnete ein
wenig an dem Tage, weshalb ich den Kragen des weißen
Reitermantels aufgeſtellt und die Schirmmütze etwas tief
in die Augen gezogen hatte, als ich durch eine lange Allee
auf das alte ſchloßartige Gebäude zuritt, das wenig gut
unterhalten ſchien. Man mochte glauben, daß eine gewöhn¬
liche Officiers-Einquartierung angekommen ſei, da auch in
der Umgebung ſchon öſterreichiſche Reiterei erſchienen war.
Es trat daher nur ein Diener aus der Thüre, mich zu
empfangen und nach meinen Wünſchen zu fragen Statt
ihm zu antworten, ſprang ich vom Pferde, überließ die

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[231/0241] Gaſthofe bezog, in welchem ich vor fünf Vierteljahren ſo manche Flaſche ausgeſtochen, waren Wirth und Diener¬ ſchaft ſehr verwundert über den ernſthaften Kriegsmann. Allein auch ich verwunderte mich, da ich auf Befragen vernahm, die Bankiersfamilie befinde ſich zur Zeit nicht in der Stadt, ſondern auf einem Landſitze, der ungefähr eine Meile entfernt ſei. Ein franzöſiſcher Emigrant, der vor zwanzig Jahren das Grundſtück an ſich gebracht, hatte es nämlich augenblicklich zum Verkaufe ausgeboten, als die Ordnung der Dinge in Frankreich umgeſtürzt war; und der Bankier hatte nicht geſäumt, das Gut auf die leichte und billige Weiſe zu erwerben, die in ſolchen Zeit- und Kriegsläufen denen möglich iſt, welche baares Geld haben. Ich konnte daher am Tage der Ankunft nicht mehr vorſprechen, ritt aber um ſo zeitiger am andern Morgen hinaus, von meinem Reitknechte begleitet. Es regnete ein wenig an dem Tage, weshalb ich den Kragen des weißen Reitermantels aufgeſtellt und die Schirmmütze etwas tief in die Augen gezogen hatte, als ich durch eine lange Allee auf das alte ſchloßartige Gebäude zuritt, das wenig gut unterhalten ſchien. Man mochte glauben, daß eine gewöhn¬ liche Officiers-Einquartierung angekommen ſei, da auch in der Umgebung ſchon öſterreichiſche Reiterei erſchienen war. Es trat daher nur ein Diener aus der Thüre, mich zu empfangen und nach meinen Wünſchen zu fragen Statt ihm zu antworten, ſprang ich vom Pferde, überließ die

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/241>, abgerufen am 24.11.2024.