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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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bloßen Vorstellung, deren reale Natur jedem Einzelnen
dereinst noch schrecklich klar werden könnte, und da der
Tod in den Kriegszeiten mir als einem Soldaten so zu
sagen zur Seite stand, dachte ich über mich selbst nach,
über meinen Leichtsinn und dies oder jenes, was ich
verfehlt haben mochte. Erst jetzt, da ich keine Wahl
mehr hatte, beschwerte mich die übersinnliche Jenseitigkeit
mit ihren dunklen Schatten, und ich empfand ein Heim¬
weh wie nach einem Beichtvater, während ich den Säbel
umschnallte und die Gesellschaft aufsuchte, welche eben in
einer Laube beim Frühstücke saß.

Man sprach eben von dem nächtlichen Knall, der
demnach im ganzen Hause gehört worden war, und da
ich mit düsterem Gesicht hinzutrat und mich erst schweigend
verhielt, wurde die Stimmung noch betroffener und ver¬
legener. Befragt, ob ich es auch gehört, bejahte ich ohne
Weiteres hinzuzufügen, da ich die Familie nicht erschrecken
mochte und es der Zeit und dem Gespenste selbst überließ,
die Herrschaft mit den Merkwürdigkeiten dieses Hauses
bekannt zu machen. Erst als ich mit Hildeburg und
Mannelin vor meinem Weggehen noch etwas auf und
nieder ging und die Erstere zu mir sagte: "Was ist
Ihnen denn, daß Sie so ernst und schweigsam sind?"
antwortete ich unwillkürlich: "Was wird es sein? die
alte Kratt hab' ich gesehen!"

"Und haben Sie mit ihr gesprochen?"

Sie sagte das mit unbefangenem Lachen, wie man

bloßen Vorſtellung, deren reale Natur jedem Einzelnen
dereinſt noch ſchrecklich klar werden könnte, und da der
Tod in den Kriegszeiten mir als einem Soldaten ſo zu
ſagen zur Seite ſtand, dachte ich über mich ſelbſt nach,
über meinen Leichtſinn und dies oder jenes, was ich
verfehlt haben mochte. Erſt jetzt, da ich keine Wahl
mehr hatte, beſchwerte mich die überſinnliche Jenſeitigkeit
mit ihren dunklen Schatten, und ich empfand ein Heim¬
weh wie nach einem Beichtvater, während ich den Säbel
umſchnallte und die Geſellſchaft aufſuchte, welche eben in
einer Laube beim Frühſtücke ſaß.

Man ſprach eben von dem nächtlichen Knall, der
demnach im ganzen Hauſe gehört worden war, und da
ich mit düſterem Geſicht hinzutrat und mich erſt ſchweigend
verhielt, wurde die Stimmung noch betroffener und ver¬
legener. Befragt, ob ich es auch gehört, bejahte ich ohne
Weiteres hinzuzufügen, da ich die Familie nicht erſchrecken
mochte und es der Zeit und dem Geſpenſte ſelbſt überließ,
die Herrſchaft mit den Merkwürdigkeiten dieſes Hauſes
bekannt zu machen. Erſt als ich mit Hildeburg und
Mannelin vor meinem Weggehen noch etwas auf und
nieder ging und die Erſtere zu mir ſagte: „Was iſt
Ihnen denn, daß Sie ſo ernſt und ſchweigſam ſind?“
antwortete ich unwillkürlich: „Was wird es ſein? die
alte Kratt hab' ich geſehen!“

„Und haben Sie mit ihr geſprochen?“

Sie ſagte das mit unbefangenem Lachen, wie man

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[248/0258] bloßen Vorſtellung, deren reale Natur jedem Einzelnen dereinſt noch ſchrecklich klar werden könnte, und da der Tod in den Kriegszeiten mir als einem Soldaten ſo zu ſagen zur Seite ſtand, dachte ich über mich ſelbſt nach, über meinen Leichtſinn und dies oder jenes, was ich verfehlt haben mochte. Erſt jetzt, da ich keine Wahl mehr hatte, beſchwerte mich die überſinnliche Jenſeitigkeit mit ihren dunklen Schatten, und ich empfand ein Heim¬ weh wie nach einem Beichtvater, während ich den Säbel umſchnallte und die Geſellſchaft aufſuchte, welche eben in einer Laube beim Frühſtücke ſaß. Man ſprach eben von dem nächtlichen Knall, der demnach im ganzen Hauſe gehört worden war, und da ich mit düſterem Geſicht hinzutrat und mich erſt ſchweigend verhielt, wurde die Stimmung noch betroffener und ver¬ legener. Befragt, ob ich es auch gehört, bejahte ich ohne Weiteres hinzuzufügen, da ich die Familie nicht erſchrecken mochte und es der Zeit und dem Geſpenſte ſelbſt überließ, die Herrſchaft mit den Merkwürdigkeiten dieſes Hauſes bekannt zu machen. Erſt als ich mit Hildeburg und Mannelin vor meinem Weggehen noch etwas auf und nieder ging und die Erſtere zu mir ſagte: „Was iſt Ihnen denn, daß Sie ſo ernſt und ſchweigſam ſind?“ antwortete ich unwillkürlich: „Was wird es ſein? die alte Kratt hab' ich geſehen!“ „Und haben Sie mit ihr geſprochen?“ Sie ſagte das mit unbefangenem Lachen, wie man

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/258>, abgerufen am 22.11.2024.